«OMG!»rufe ich erschreckt und im Wald auf dem Hosenboden sitzend, jedoch mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Ich befinde mich auf der Auerhuhn-Spurentaxation und soeben ist in ca. 3 m Distanz ein Auerhahn aufgeflogen. In der Weidmannsprache würde man sagen: «Der Hahn ist abgeritten.» Wer das plötzliche, fast schon explosive und überraschende abreiten dieses urigen Waldbewohners bereits erlebt hat, weiss, wovon ich spreche und kann sich auch vorstellen, warum es «abreiten» heissen könnte. Der Auerhahn ist ein eindrücklicher, faszinierender und auch selten gewordener Waldbewohner. Mein Kopf-DJ legt einen Schlager von De Randfichten auf und ich singe etwas angepasst mit: «Lebt denn dr alte Auerhahn noch – ja er lebt noch, er lebt noch!». Es freut mich sehr, dass es dem Auerhuhn im Sonderwaldreservat in Obersaxen anscheinend gut geht. Es ist auch ein Zeichen, dass wir mit unseren Holzschlägen den Lebensraum nicht zerstören, sondern aufwerten und verbessern. Denn das ist das Oberziel von Auerhuhn Sonderwaldreservaten.
Abb. 1: Schema von Wolfgang Scherzinger, aus dem Auerhuhn Konzept Graubünden von 2010.
Das Sonderwaldreservat in Obersaxen konnte in einvernehmlicher Zusammenarbeit mit der politischen Gemeinde Obersaxen Mundaun und der Bürgergemeinde Obersaxen Mundaun im Jahr 2017 eingerichtet werden. Es ist 643 ha gross und beinhaltet die Waldungen Zavragawald, Horawald und Nallwald. In allen drei Waldungen konnte je eine Altholzinsel ausgeschieden werden. Total werden so 31 ha der Nutzung entzogen und der Wald wird sich selbst überlassen. Die Wälder im SWR werden von der Fichte dominiert. Daneben stocken vereinzelt Vogelbeere, Alpenerle, Birke, Weide, Bergahorn und Aspe. Selten und nur an der oberen Waldgrenze finden sich Lärchen und Arven. Weisstannen und Waldföhren sind keine bekannt. Die Wälder sind häufig dicht, homogen und vorratsreich. Auf 78 % der Fläche stehen mittlere und starke Baumhölzer. Holzschläge sind in diesen Wäldern nötig, um lückige Wälder zu schaffen und die Verjüngung einzuleiten und zu fördern. In den vergangenen sieben Jahren konnten auf 125 ha Holzschläge und auf 17 ha Pflegeeingriffe zur Förderung des Auerhuhns umgesetzt werden. Es wurden 21 543 m³ Holz geerntet, was 172 m³/ha bedeutet. In der Regel entspricht dies einer Eingriffsstärke von rund einem Drittel des Vorrates/ha. Bei der Anzeichnung haben wir immer die Illustration mit den verschiedenen Auerhuhnrequisiten von Wolfgang Scherzinger im Hinterkopf (siehe Abb. 1).
Abb. 2.: Einleitung und Förderung der Verjüngung sowie Strukturierung des Waldes und Erhöhung der Grenzlinien. (Bild: P. Kälin)
Zusätzliche Grundlage beim Anzeichnen ist das waldbauliche Anforderungsprofil aufgrund der ökologischen Ansprüche des Auerhuhns, welches im Auerhuhn-Konzept Graubünden [2] zu finden ist. Die Pflegeeingriffe im flächig einschichtigen Jungwald erfolgen etwas stärker als gewöhnlich und werden mittels sogenannten Kammerungen umgesetzt. Diese Eingriffe zielen bereits auf einen stufigen Aufbau im Altbestand hin. In einem praktisch reinen Fichtenbestand ist dies mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Für den Auerhuhnlebensraum scheinen diese Eingriffe jedoch geeigneter zu sein als klassische Pflegeeingriffe. Es werden so bereits geeignete Randstrukturen und stabile innere Waldränder geschaffen und erhalten.
Abb. 3.: Wichtige Auerhuhnrequisiten wie Wurzelteller, liegendes Totholz, stehendes Totholz und Ameisenhaufen werden bewusst geschont. (Bild: J. Hassler)
Zudem werden die für die Deckung wichtigen Grenzlinien im Bestand erhöht. Eine Grenzlinie in diesem Sinne bezeichnet die Berührungslinie zwischen Kronenmantel der Bäume oder Sträucher und der Bodenvegetation. Das Auerhuhn kann sich in solchen Grenzlinien schnell verstecken. Neben dichten Beständen (Kammern) wechseln sich offenere Flächen (Gassen) mit üppiger Bodenvegetation ab. In den Gassen werden alle Fichten entfernt, besondere Baumarten (Vogelbeere, Bergahorn, Birke) werden belassen. Sie sind zum einen eine Bereicherung für den ansonsten nur aus Fichten bestehenden Gebirgswald und zum anderen dienen die Knospen dem Auerhuhn im Winter als Nahrungsergänzung zu den ganzjährig zur Verfügung stehenden Fichtennadeln. Je nach Situation kann in den Kammern eine Pflege mit Zukunftsbäumen erfolgen. Falls dies nicht nötig ist, wird der biologischen Rationalisierung, den natürlichen Abläufen, freien Lauf gelassen.
Neben dem Lebensraum für das Auerhuhn erfüllen mehr als die Hälfte der Wälder im SWR auch eine wichtige Schutzfunktion. Die Vorgaben für die Schutzwaldpflege können hier gut mit dem Waldbau für die Förderung des Auerhuhns kombiniert und erreicht werden.
Abb. 4.: Auch solch ein Holzhaufen kann ein wichtiges Lebensraumelement für das Auerhuhn sein. In der Mitte des Bildes ist bei genauer Betrachtung der Kopf einer Auerhenne zu erkennen. (Bild: G. Derungs)
Abgesehen von den waldbaulichen Massnahmen haben Beruhigungsmassnahmen eine ebenso wichtige Bedeutung. In einem Grossteil des SWR bestehen Wildruhezonen, welche vom 20.12.–30.4. nicht bzw. nur auf definierten Durchgangswegen begangen werden dürfen.
Zurück zur Spurentaxation. Die Organisation und Auswertung der Auerhuhn-Spurentaxationen und der Jägerumfragen wird vom Amt für Jagd und Fischerei durchgeführt, während das Amt für Wald und Naturgefahren und das Revierforstamt Obersaxen Mundaun für die Pflege des Lebensraumes zuständig ist. Bei den Taxationen nehmen dann jeweils Personen von beiden Ämtern und des Revierforstamtes teil. Bei einer Auerhuhn-Spurentaxation werden systematisch indirekte Nachweise wie Losung, Federn oder Sandbäder in einem definierten Untersuchungsgebiet gesucht, um die Präsenz oder Absenz der Auerhühner festzustellen. Die genaue Anzahl der Individuen kann mit dieser Methode jedoch nicht bestimmt werden. Hinweise hierzu könnten mit genetischen Methoden erhalten werden, dafür müssten zahlreiche verwertbare Proben der gefundenen Losungen oder Federn im Labor analysiert und entsprechend ausgewertet werden, was mit zusätzlichen Kosten verbunden ist.
Abb. 5.: Auerhahn bei seiner Balzarie. (Bild: G. Derungs)
Die erste Spurentaxation im Horn- und Nallwald fand im Jahr 2012 statt, eine erste Folgetaxation erfolgte dann sechs Jahre nach der Einrichtung des Sonderwaldreservats im Frühling 2023. Das ganze Gebiet wurde in 12 Sektoren unterteilt, welche innerhalb von vier Stunden zu zweit oder alleine abgesucht wurden. Im Vergleich mit der Taxation im Jahr 2012 (47 Nachweise) konnten bei der Taxation 2023 im gleichen Gebiet deutlich mehr Nachweise erbracht werden (71 Nachweise). Darunter waren bei beiden Taxationen auch direkte Sichtbeobachtungen. Ein Ergebnis des Vergleichs beider Spurentaxationen ist, dass die räumliche Verteilung der Nachweise über das ganze Gebiet zugenommen hat. Beispielsweise wurden in einem Gebiet, in welchem im Jahr 2021 ein Eingriff mit dem Zweck der Verjüngungsförderung erfolgt ist, bei der Taxation im Jahr 2023 sechs indirekte Nachweise erbracht, während bei der Taxation im Jahr 2012 im selben Gebiet keine Nachweise erbracht wurden. Dies lässt vermuten, dass die Verbreitung des Auerhuhns im Gebiet zurzeit eine grössere Ausdehnung hat als im Jahr 2012. Eine grössere lokale Verbreitung könnte sich positiv auf den Fortpflanzungserfolg und die genetische Vielfalt dieser Auerhuhn-Population auswirken, was wiederum positive Effekte auf benachbarte Populationen haben könnte.
Die neu erbrachten Auerhuhn-Nachweise in diesem Gebiet lassen die erfreuliche Vermutung zu, dass die gezielten Forst- sowie Beruhigungsmassnahmen die Ursache für die räumliche Ausdehnung der Auerhuhn-Nachweise sind. Um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Massnahmen und Auerhuhn-Vorkommen belastbar herzuleiten, wären aber mehr als zwei Spurentaxationen nötig, da es nebst den genannten Förderungsmassnahmen zahlreiche andere Faktoren gibt (z. B. witterungsbedingte Sterblichkeit, Schwankungen im Nahrungsangebot, Prädation, etc.), die das Auerhuhn-Vorkommen ebenfalls beeinflussen. Erstaunlich ist aber, dass bereits zwei Jahre nach dem forstlichen Eingriff Nachweise erbracht werden konnten. Je nach Eingriffsstärke kann es sein, dass es länger dauert, bis ein Gebiet nach einer forstlichen Massnahme vom Auerhuhn als Lebensraum genutzt wird.
Abb. 6.: Heureka! Winterlosung des Auerhuhns, gefunden bei der Spurentaxation 2012. (Bild: Ch. Buchli)
Interessanterweise wurden in anderen Gebieten der drei Waldungen häufig Nachweise in Bereichen erbracht, in denen schon länger keine Eingriffe erfolgt sind. In diesen Fällen handelt es sich um Gebiete, die bereits den Lebensraumanforderungen des Auerhuhns gerecht werden und daher aktuell keine forstlichen Eingriffe erfordern.
Im Rahmen von Sonderwaldreservaten werden spezifische Ziele (in diesem Fall die Förderung des Auerhuhns) festgelegt und eine langfristige Sicherung der Ziele und der nötigen Massnahmen vertraglich geregelt, was zusätzliche Verbindlichkeit schafft. Die Ausdehnung und Dichte der Nachweise im SWR Horn- und Nallwald deuten insgesamt darauf hin, dass sich die Einrichtung dieses SWR positiv auf die Lebensraumnutzung des Auerhuhns ausgewirkt hat. Spätestens in zehn Jahren soll erneut eine Spurentaxation durchgeführt werden, um die Präsenz und räumliche Lebensraumnutzung des Auerhuhns im Gebiet erneut festzustellen. Zusätzlich soll die Wirkung der forstlichen Eingriffe vertiefter analysiert werden.
Ein Aufruf zum Schluss: Wir bitten Sie, liebe Leserin und lieber Leser, zum Schutz dieser seltenen, stark gefährdeten und geschützten Art nicht aktiv in diese Waldungen zu gehen, um Auerhühner aufzuspüren und insbesondere die geltenden Regeln bezüglich Wildruhezone zu beachten. Sollten Sie zufällig vom Waldweg aus ein Auerhuhn sichten, können Sie dies gerne über ornitho.ch melden.
Quellen
[1] Das Auerhuhn (2002): GRAF, R.F., BOLLMANN, K., MOLLET, P. Infodienst Wildbiologie & Ökologie.
[2] Auerhuhn-Konzept Graubünden (2010): GADIENT, R., JENNY, H., BÜHLER, U. Amt für Jagd und Fischerei GR, Amt für Wald GR.
Valerie Widmer ist Techn. Sachbearbeiterin in Chur und Christian Buchli ist Regionalforstingenieur in der Region 3 in Ilanz, sie arbeiten beide beim AWN Graubünden.