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"Bündnerwald" Oktober 2022

Veränderung des Bündner Waldes und Rückwirkungen auf das Klima

Der Bündner Wald ist ständig im Wandel. Das Klima war dabei nebst der menschlichen Nutzung und natürlichen Störungen schon immer eine wichtige treibende Kraft dieser Veränderungen. In diesem Artikel widmen wir uns der Frage, welche Rückwirkungen Wald- und Vorratszunahmen im Bündner Wald auf das Klima in der Vergangenheit hatten und was wir in Zukunft mit fortschreitendem Klimawandel zu erwarten haben. Darauf aufbauend können Situationen identifiziert werden, in denen Waldausdehnung und Vorratszunahme auch in Zukunft noch möglich und sinnvoll sind und andere Situationen, in denen dies nicht der Fall ist. Autoren: Dr. Peter Bebi, Dr. Ana Stritih, Dr. Jonas Schwaab, Dr. Frank Hagedorn

Bündner Wald als bedeutende CO2-Senke seit dem 19. Jahrhundert

Seit dem Ende des 19. Jahrhundert nahmen nach vielerorts jahrhundertelanger Übernutzung sowohl Waldfläche wie auch Vorrat im Bündner Wald wieder stark zu (Abb. 1).

 

Davos mit Seehorn um 1900 (oben, Bild: Fotofurter) und um 2022 (unten, Bild: Selina Bebi).

Waldausdehnung und Vorratszunahme wurden vor allem durch Aufgabe von landwirtschaftlicher Bewirtschaftung und Nutzungsextensivierung begünstigt.

Gemäss einem Vergleich mit alten Siegfriedkarten sind rund 42 % der jetzigen Waldfläche des Kantons Graubünden seit 1880 eingewachsen. Aufgrund von Unsicherheiten bei historischen Daten ist es etwas schwieriger abzuschätzen, wie viel der Vorrat zugenommen hat. Wir können aber davon ausgehen, dass sich der durchschnittliche Vorrat, der bei rund 300 m²/ha liegt, nur schon seit 1950 etwa verdoppelt hat (vgl. Ott et al. 1972, Gordon diese BW-Ausgabe). Waldausdehnung und Waldverdichtung zusammen dürften damit seit dem Ende des 19. Jahrhundert sogar etwa zu einer Vervierfachung des Gesamtvorrats in den Bündner Wäldern geführt haben.

Wo die Waldfläche zunimmt und der Wald dichter wird, reichern sich Biomasse und damit Kohlenstoff an. CO² wird durch Nadeln und Blätter aufgenommen und dann grösstenteils in den verholzten oberirdischen Baumteilen, aber auch im Wurzelraum und Boden gespeichert. Gemäss dem Schweizerischen Landesforstinventar (LFI) werden gesamtschweizerisch etwa 79 % der Biomasse oberirdisch und 21 % in den Wurzeln gespeichert. Wie Untersuchungen in der Versuchsaufforstung Stillberg (Davos) zeigten, kann der unterirdische Anteil im oberen Waldgrenzenbereich deutlich höher sein und bis zu 40 % der Gesamtbiomasse betragen. Wenn wir in einer einfachen Überschlagsrechnung davon ausgehen, dass etwa die Hälfte der vergangenen Vorratszunahme als Kohlenstoff gespeichert wurde, ergibt sich eine Menge von rund 40 Millionen Tonnen gespeichertem CO2, das der Luft entzogen wurde. Der Bündner Wald hat damit seit Mitte des 19. Jahrhunderts als bedeutende CO2-Senke dazu beigetragen, dem Klimawandel entgegenzuwirken. Diese Leistung des Bündner Waldes war vor allem dann wertvoll, wenn Holz aus der Region nicht erneuerbare Energie- und Baustoffe substituieren konnte.

Nebst dieser CO2-Senkenleistung des Bündner Waldes gibt es zwei wichtige Nebeneffekte der Waldentwicklung, die ebenfalls Rückwirkungen auf das Klima haben und in einem Gesamtzusammenhang nicht vergessen werden sollten. Dabei geht es einerseits um die geringere Rückstrahlung (Albedo) von dunklem Wald im Vergleich zu Offenland und um erhöhte Risiken von dichtem Wald bezüglich natürlicher Störungen.

 

Albedo-Effekt: Wenn zusätzlicher Wald erwärmend wirkt

Wenn sich Wald ausdehnt und verdichtet, verringert sich in der Regel die Rückstrahlfähigkeit (Albedo) der Landoberfläche. Besonders deutlich ist dieser Effekt in Gebieten mit einer langen Schneebedeckung, wenn statt einer schneebedeckten Freifläche (mit einer Albedo von rund 0,5–0,9 (je nach Schneebeschaffenheit) ein dichter Wald mit einer relativ tiefen Rückstrahlung (Albedo ca. 0,2–0,4) steht (vgl. Abb. 2).

Waldausdehnung in schneereichen Gebieten wie hier im Val Rosegg bewirken eine

verringerte Rückstrahlfähigkeit (Albedo) der Landoberfläche und damit eine lokale Erwärmung. (Bild: Peter Bebi)

Eine kleinere Albedo bedeutet, dass mehr Sonnenlicht im Wald absorbiert als reflektiert wird. Somit entsteht eine positive Strahlungsbilanz, die vor allem lokal erwärmend wirkt und dem ansonsten global «abkühlenden» Effekt der CO2-Aufnahme durch den Wald entgegenwirkt. Um die Folgen der Waldzunahme auf das Klima abzuschätzen, wurden diese beiden Effekte miteinander verglichen, wobei Daten zur Waldveränderung, Kohlenstoffspeicherung, Schneebedeckung und Sonneneinstrahlung verwendet wurden (Schwab et al. 2015). Dabei zeigte sich, dass der «kühlende» Effekt der CO2-Bindung durch den Wald in wüchsigen Regionen mit geringer Schneebedeckung weit überwiegt. In kälteren Lagen Graubündens mit langer Schneebedeckung und geringeren Wachstumsraten (also zum Beispiel im Waldgrenzenbereich) heben sich die Klimaeffekte «CO2-Aufnahme» und «Albedowirkung» aber ungefähr auf. Mitunter bewirkt der zusätzliche Wald sogar einen stärkeren Albedo-Effekt und damit gesamthaft gesehen eine lokale Erwärmung. Unterschiede gibt es auch zwischen verschiedenen Waldstadien: Beginnende Waldausdehnung auf vormals offenem Land erniedrigt zunächst die Albedo stark. Nachdem sich ein noch junger (offener) Wald etabliert hat, sinkt die Albedo nur noch wenig, obwohl der Wald weiterhin viel CO2 aufnehmen kann.

Klassierung von Wäldern in Davos (links) und im Gebiet Nationalpark/Unterengadin (rechts) bezüglich

des Risikos für die Co2-Bindung durch natürliche Störungen (Abgeändert nach Stritih et.al.2021).

 

Mehr natürliche Störungen durch Borkenkäfer, Feuer und Wind

Natürliche Störungen durch Borkenkäfer, Waldbrand und Windwurf traten in den letzten Jahrzehnten gesamteuropäisch nachweislich häufiger auf und werden wahrscheinlich noch weiter zunehmen. Dies ist aufgrund des Klimawandels und der vergangenen Waldentwicklung durchaus plausibel: Wärmere und trockenere Witterung erlauben eine raschere Verbreitung des Borkenkäfers auch in höher gelegenen Fichtenwäldern. Zudem steigt die Waldbrandgefährdung bei trockener und warmer Witterung und früher Schneeausaperung auch in Gebieten, die bisher kaum davon betroffen waren. Die Zunahme von natürlichen Störungen der letzten Jahrzehnte kann aber nur zum Teil durch den Klimawandel erklärt werden und steht auch stark im Zusammenhang mit den steigenden Waldflächen und Vorräten seit dem 19. Jahrhundert (Bebi et al. 2017). Auswertungen von Satellitenbildern und von kantonalen Bewirtschaftungsdaten (LeiNa) zeigten, dass natürliche Störungen (insbesondere Windwurf und Käferbefall) in Bündner Wäldern vor allem in dichten Wäldern mit hohem Fichtenanteil auftraten (Stritih et al. 2021a). Besonders anfällig waren dabei relativ junge Wälder, die erst seit dem 19. Jahrhundert durch Aufgabe von Landwirtschaft oder nach Aufforstung aufgewachsen sind. Zusammen mit trockenheitsbedingter Mortalität resultieren diese Störungen in einer Zunahme des Totholzanteils im Wald und damit in einer allmählichen Freisetzung des darin gebundenen Kohlenstoffs. Dies führt dazu, dass sich die positive CO2-Bilanz in Bündner Wäldern vielerorts wieder aufhebt oder zumindest die Gefahr besteht, die aufgenommene CO2-Menge wieder zu verlieren. Die Zunahme von Waldstörungen bedeutet auch Gefahr für andere wichtige Ökosystemleistungen des Waldes, wie Lawinenschutz, Erholung und Holzproduktion. Aufgrund von Auswertungen früherer Störungsereignisse und räumlichen Informationen zu Waldaufbau und Standort können solche Risiken abgeschätzt werden (Stritih et al. 2021, Abb. 3).

 

Offene Fragen im Boden

Im Vergleich zum oberirdischen Teil des Waldes bleiben Rückwirkungen des Waldbodens auf das Klima vielfach im Verborgenen. Waldböden enthalten in der organischen Bodensubstanz etwas mehr Kohlenstoff als in der Biomasse. Dieser Kohlenstoff hat sich über Jahrhunderte angereichert. Die obere Humusschicht des Bodens enthält aber Kohlenstoff, der durch Bodenorganismen bei der Atmung leicht abgebaut werden kann. Forschungen an der Waldgrenze am Stillberg bei Davos haben gezeigt, dass gerade hoch gelegene Böden im Waldgrenzenbereich besonders reich an Kohlenstoff sind. Die bei steigenden Temperaturen erhöhte Aktivität der Bodenorganismen kann dort grosse Mengen an CO2 freisetzen. Entsprechend wird bei fortgesetzter Klimaerwärmung mindestens ein Teil des CO2, das durch eine Erhöhung der Waldgrenze und ein Verdichten des Waldes gebunden wird, durch die zunehmende Bodenatmung wieder frei (Hagedorn et al., 2010). Auch natürliche Störungen führen zu Kohlenstoffverlusten aus dem Boden, da das Mikroklima durch die fehlende Waldbedeckung wärmer wird und die Bodenstruktur gestört wird. Diese Verluste sind im Gebirge besonders hoch, da dort grosse Kohlenstoffmengen in der oberen Humusschicht gespeichert sind, die schnell abgebaut werden.

 

Gesamtbetrachtung ist wichtig

Die verschiedenen Wechselwirkungen zwischen Wald und Klima rufen nach differenzierten Betrachtungen von Klimaschutzmassnahmen – insbesondere, wenn sie auch zusammen mit anderen Waldleistungen beurteilt werden (vgl. auch Beitrag von Riet Gordon in dieser Ausgabe). Die aktive oder passive Förderung von CO2-Senken im Bündner Wald ist vor allem dort wertvoll, wo die erwartete Klimawirkung insgesamt hoch ist und wo wichtige andere Waldleistungen und Klimaanpassungen des Waldes durch zusätzliche Vorratszunahme nicht wesentlich eingeschränkt werden. Im Folgenden möchten wir anhand von typischen Situationen aufzeigen, was damit gemeint ist und welche Entscheidungskriterien dabei hilfreich sein könnten.

Aufforstungen in hohen Lagen haben durch Co2-Bindung und Verringerung der Albedo entgegengesetzte Rückwirkungen auf das Klima.

Ob solche Aufforstungen in einem Gesamtzusammenhang Sinn machen, hängt wie hier auf der Alp Guscha von deren Wirkung auf Artenvielfalt, Schutzfunktion und andere Umweltleistungen ab.

(Bild: Peter Bebi)

1. Situation: Aufforstungsprojekte

Bäume zu pflanzen als Kompensation für den Verbrauch von nicht erneuerbarer Energie sieht auf den ersten Blick bestechend einfach aus, ist aber in einer Gesamtbetrachtung nicht überall sinnvoll. Gerade in höheren, schneereichen Lagen wirkt sich diese Massnahme infolge von Albedo-Effekt und unterirdischen Prozessen häufig nicht positiv auf das Klima aus. Auch auf andere Waldfunktionen kann die Wirkung solcher Aufforstungen je nach Standort langfristig sehr stark variieren (vgl. Abb. 4). Am eindeutigsten positiv sind solche Projekte meistens da, wo zusätzliche Waldflächen einen wertvollen Beitrag zum Schutz vor Naturgefahren leisten (also zum Beispiel in offenen, aber in Zukunft waldfähigen Anrissgebieten von Lawinen oder Rutschungen) und dort, wo diese Aufforstungen auch mit einem nachhaltigen Pflanzungs- und Pflegekonzept sowie mit einer klimaangepassten Baumartenmischung ausgeführt werden. Im Gegensatz dazu machen Aufforstungsprojekte für den Klimaschutz (oder auch andere Ersatzaufforstungsprojekte) kaum Sinn, wenn sich eine zusätzliche Waldzunahme in hohen Lagen nicht langfristig positiv auf den Naturgefahrenschutz auswirkt, und wenn der Einfluss auf Artenvielfalt, Landschaftsbild und andere Umweltleistungen eindeutig negativ ist.

Einförmiger, noch junger und störungsanfälliger Fichtenbestand ohne Potenzial für zusätzliche Vorratszunahme.

(Foto: Mario Guetg)

 

2. Situation: Vorratszunahme im bestehenden Wald

Auch die Klimarückwirkung von weiteren Vorratszunahmen im bestehenden Walde muss vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen räumlich differenziert betrachtet werden, wobei Effekte auf verschiedene Waldleistungen und Risiken durch natürliche Störungen berücksichtigt werden müssen. Zweifellos gibt es in Graubünden grosse Waldflächen, wo eine weitere Zunahme des Vorrats eindeutig mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringt, und zwar sowohl hinsichtlich Resilienz und Klimaanpassung als auch hinsichtlich der langfristigen Erfüllung verschiedener Waldfunktionen (inklusive Artenvielfalt, Erholung, Naturgefahrenschutz und nachhaltige Nutzung von einheimischen Holzressourcen). Im Rahmen der Schutzwaldpflege, die sich gemäss NaiS generell so weit wie möglich an natürlichen Waldentwicklungsprozessen orientiert, wird die Steigerung von Resilienz gegenüber natürlichen Störungen und Klimaanpassung zunehmend wichtiger. Da diese wiederum häufig an die Verfügbarkeit von Licht, Baumartenvielfalt und Moderholz gebunden ist, sind einer Förderung von weiteren CO2-Senken ohne langfristige Verluste von Resilienz und wichtigen Waldfunktionen vielfach enge Grenzen gesetzt. Bestände, die beispielsweise aufgrund der früheren Bewirtschaftungsgeschichte zur Gleichförmigkeit neigen und bei noch weiter zunehmendem Vorrat einförmiger und störungsanfälliger werden (vgl. Abb. 5), sind zum Beispiel meistens ungeeignet als CO2-Senkenwald. Besser geeignet dafür sind natürlicherweise heterogene Standorte und offene Waldstrukturen, wo eine Waldverdichtung aufgrund der naturräumlichen Bedingungen mit geringeren Risiken für andere Waldfunktionen verbunden ist (Abb. 6). Mittels räumlicher Modelle von Waldfunktionen und Risiken für diese Waldfunktionen lassen sich Entscheidungsgrundlagen generieren, welche für die Beurteilung und Auswahl zukünftiger Senkenwälder wertvoll sein können (vgl. Abb. 3, Karte aus Modell Ana Stritih).

Offener und strukturierter Wald oberhalb von Trin mit noch intaktem Potenzial für Vorratszunahme. (Foto: Peter Bebi)

Fazit

Die Klimarückwirkungen des Bündner Waldes sind komplexer als vielfach angenommen. Die starke Wald- und Vorratszunahme seit dem 19. Jahrhundert leisteten einen sehr wichtigen Beitrag als CO2-Senke. Das zukünftige Potenzial von weiteren CO2-Senken ist in den vielfach bereits dichten und störungsanfälligen Bündner Wäldern demgegenüber aber stärker eingeschränkt und muss auch in einem Gesamtzusammenhang mit anderen Klimarückkoppelungen und der langfristigen Erfüllung verschiedener Waldleistungen gesehen werden.

Das Potenzial des Bündner Waldes für den Klimaschutz ist dennoch vorhanden, da CO2-Senken, wenn auch eingeschränkt, trotzdem eine wichtige Rolle spielen und auch die nachhaltige Nutzung der Ressource Holz grosses Potenzial bietet. Im Hinblick auf eine möglichst sinnvolle Planung von Wäldern mit Klimaschutzfunktion braucht es zur Entscheidungshilfe pragmatische Ansätze, die sowohl Risiken von zukünftigen Störungen als auch langfristige Effekte auf verschiedene Waldleistungen und Klimarückkoppelungen berücksichtigen.

 

Dr. Peter Bebi ist Leiter des Forschungszentrums CERC am WSL-Institut für Schnee und Lawinenforschung in Davos. Dr. Ana Stritih (TU München), Dr. Jonas Schwaab (ETH Zürich) und Dr. Frank Hagedorn (WSL Birmensdorf) haben zusammen mit ihm Forschungsarbeiten im Themenbereich des Artikels durchgeführt.

 

Literatur

Bebi, P., Seidl, R., Motta, R., Fuhr, M., Firm, D., Krumm, F., Conedera M., Ginzler C., Wohlgemuth T., Kulakowski, D. (2017). Changes of forest cover and disturbance regimes in the mountain forests of the Alps. Forest Ecology and Management, 388, 43-56. https://doi.org/10.1016/j.foreco.2016.10.028.

Hagedorn F, Moeri A, Walthert L, Zimmermann S (2010) Kohlenstoff in Schweizer Waldböden – bei Klimaerwärmung eine potenzielle CO²-Quelle. Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen 161, 530-535.

Ott, E. (1972) Erhebungen über den gegenwärtigen Zustand des Schweizer Waldes als Grundlage waldbaulicher Zielsetzungen. Mitteilungen EAFV.

Schwab, J., Bavay, M., Davin, E., Hagedorn, F., Hüsler, F., Lehning, M., Schneebeli, M., Thürig, E., Bebi, P. (2015). Carbon storage versus albedo change: radiative forcing of forest expansion in temperate mountainous regions of Switzerland. Biogeosciences, 12(2), 467-487. https://doi.org/10.5194/bg-12-467-2015.

Stritih, A., Senf, C., Seidl, R., Grêt-Regamey, A., & Bebi, P. (2021a). The impact of land-use legacies and recent management on natural disturbance susceptibility in mountain forests. Forest Ecology and Management, 484, 118950 (10 pp.).

Stritih, A., Bebi, P., Rossi, C., & Grêt-Regamey, A. (2021b). Addressing disturbance risk to mountain forest ecosystem services. Journal of Environmental Management, 296, 113188 (11 pp.).

Klimastrategie und Aktionsplan Green Deal Graubünden

Der Kanton Graubünden sieht sich mit den wachsenden Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert. Er hat allerdings früh eine eigene kantonale Klima­strategie entwickelt und ist auf einem guten Weg. Gleichzeitig bleibt noch viel zu tun. Wir alle können dazu beitragen und mit anpacken, damit Graubünden sein Ziel «2050 klimaneutral» erreicht. Autorin: Katja Graf

Der Kanton Graubünden hat im Jahr 2015 als einer der ersten Kantone eine kantonale Klimastrategie erarbeitet und durch die Regierung verabschiedet. Diese zeigt auf, dass die grössten Risiken durch den Klimawandel für den Kanton Graubünden im Bereich der Gesundheit, des Tourismus und der Biodiversität liegen. Die zunehmende Hitze führt zu vermehrten Herzkreislaufproblemen und verminderter Arbeitsleistung, die reduzierte Schneedecke gefährdet den Wintertourismus, und insbesondere Organismen in Feuchtgebieten leiden unter der zunehmenden Trockenheit und könnten aus ihren angestammten Lebensräumen verdrängt werden.

Blühende Wiese bei Zillis im Schams (Foto: Plantahof)

Gleichzeitig birgt der Klimawandel auch Chancen für den Kanton. Höhere Mitteltemperaturen reduzieren den winterlichen Heizbedarf – erhöhen jedoch potenziell den sommerlichen Kühlbedarf der Gebäude. Die zunehmende Hitze und geringere Regenfälle in den Tallagen können die sommerliche Attraktivität des Berggebiets steigern und den «Sommerfrische»-Tourismus ankurbeln. Das veränderte Niederschlagsregime könnte es ermöglichen, mehr Strom aus Wasserkraft zu produzieren. Insgesamt dürften jedoch die Risiken gegenüber den Chancen stark überwiegen, auch aus finan­zieller Sicht.

 

Präparierte Langlaufloipe im Oberengadin (Foto: AWN Graubünden)

Ergänzend zu den laufenden Projekten im Rahmen der Klimastrategie erarbeitet die kantonale Verwaltung momentan die zweite Etappe des Aktionsplans Green Deal (AGD) für Graubünden. Der AGD strebt die Klimaneutralität des Kantons bis 2050 an, beziffert das kantonale Treibhausgasbudget bis 2050 und will Massnahmen umsetzen, um dieses Budget einzuhalten.

Neben dem Klimaschutz bezweckt der AGD ausserdem, die Bevölkerung, Wirtschaft und Natur besser vor den negativen Folgen des Klimawandels zu schützen und ermöglicht – wo sinnvoll und machbar – deren Anpassung an das veränderte Klima.

Was ist der aktuelle Stand? Der Grosse Rat hat die erste Etappe des AGD im Oktober 2021 gutgeheissen und dadurch erstens Gelder bereitgestellt, um (höhere) kantonale Förderbeiträge für Massnahmen im Gebäudebereich, im öffentlichen Verkehr und für Pilotprojekte zur klimaneutralen Landwirtschaft sprechen zu können. Zweitens hat der Grosse Rat die Leitplanken für die Ausarbeitung der zweiten Etappe des AGD gesetzt. Der Kanton schafft derzeit die gesetzlichen Grundlagen, um weitere Massnahmen im Bereich Klimaschutz und Klimaanpassung umsetzen und (mit-)finanzieren zu können. Diese gesetzlichen Grundlagen dienen als Basis für die Umsetzung der zweiten Etappe des AGD und sollen per 2026 in Kraft treten. Sie sollen beispielsweise die finanzielle Förderung von innovativen (Gross-)Projekten im Bereich Klimaschutz und Klimaanpassung ermöglichen, die Treibhausgase im Landwirtschaftssektor durch finanzielle Anreize markant reduzieren, unnötigen Verkehr reduzieren und klimafreundliche Mobilitätsformen fördern. Der AGD setzt zudem Anreize, mehr erneuerbare Energien und insbesondere mehr Solarenergie zu nutzen, speziell zur Winterstromgewinnung.

Mit dem "Aktionsplan Green Deal für Graubünden" soll der Treibhausgasausstoss im Kanton Graubünden sukzessive reduziert und der Kanton bis 2050 klimaneutral werden.

(Quelle: Situationsanalyse AGD)

Der neu zu schaffende kantonale Klimafonds soll die nötigen Gelder für die Finanzierung der Massnahmen bereitstellen. Dies wird in der heutigen Erwartung die grösste Herausforderung für die weitere Umsetzung des AGD sein: ausreichende und mehrheitsfähige Finanzierungsquellen für den Klimafonds zu finden, um den Aktionsplan umsetzen zu können. Dabei müssen wir uns vor Augen führen, dass die Massnahmen des AGD nicht nur dem Klima zugutekommen, sondern markant und dauerhaft unsere Auslandsabhängigkeit in der Energieversorgung reduzieren. Heute geben wir im Kanton Graubünden für fossile Energieträger jährlich 400 Millionen Franken aus. Von diesen 400 Millionen fliessen mehr als 200 Millionen Franken jährlich ins Ausland ab, insbesondere an Öl- und Gaskonzerne. Mit dem Green Deal können wir diese 200 Millionen Franken pro Jahr im Kanton Graubünden ausgeben und bei uns Wertschöpfung generieren. Somit trägt der AGD nicht nur zur Eindämmung des Klimawandels bei, sondern macht auch aus Sicht der kantonalen Binnenwirtschaft durchaus Sinn.

 

Photovoltaikanlagen im alpinen Raum generieren wertvollen Winterstrom, wie hier bei Muottas Muragl, Samedan. (Bild: Fanzun AG, Chur)

Der Kanton will mit dem Klimafonds und den Massnahmen dafür sorgen, dass Gemeinden, die Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger ihren Teil zur Energiewende, zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung beitragen können und wollen. Er will primär finanzielle Anreize setzen, um die Akteure dazu zu motivieren, sinnvolle klimafreundliche Massnahmen umzusetzen. Die Gemeinden können unterstützend wirken, indem sie Hand bieten für klimafreundliche Projekte auf ihrem Gemeindegebiet oder diese sogar selbst lancieren, sich nach Möglichkeit finanziell daran beteiligen und Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft dabei unterstützen, Massnahmen umzusetzen. Beispielsweise können sie rechtliche Hürden in ihren Baugesetzen abbauen, welche die Installation von Solarenergieanlagen unnötig erschweren. Denn eins ist klar: ohne die Unterstützung von Bevölkerung und Wirtschaft und deren Bereitschaft, den Green Deal – auch finanziell – mitzutragen, wird es nicht gehen. Die jüngeren geopolitischen und energiemarktseitigen Entwicklungen zeigen eindrücklich auf, dass der Nutzen des AGDs für alle Anspruchsgruppen noch weitaus grösser sein könnte, als bisher angenommen. Packen wirs also an!

 

Mehr Informationen zum AGD und zum Klimawandel im Kanton Graubünden: www.klimawandel.gr.ch

 

Mehr Informationen zu den kantonalen Förderprogrammen: www.energie.gr.ch

 

Katja Graf ist Chemikerin und Ökonomin und beim Amt für Natur und Umwelt Graubünden für die Themen Klima und Nachhaltigkeit zuständig.

Wert und Verwendung von Modellen für die zukünftige Waldbewirtschaftung, ein Einblick aus der Praxis

Dieser Beitrag möchte Eindrücke aus dem Feld vorstellen betreffend Handhabung und Bedeutung von einigen Modellen, die in der Waldbewirtschaftung genutzt werden. Damit soll folgende Diskussion angeregt werden: «Wo gibt es Lücken? Was könnten wir uns noch wünschen? Wo sind die Grenzen? Wie könnten wir noch besser werden?» Autor: Giorgio Renz

Kurze Begriffserläuterung: Was sind Modelle? Modelle sind eine vereinfachte Abbildung der Wirklichkeit mit dem Ziel, die zu untersuchenden Objekte in eine handhabbare Form, aber immer noch akkurat, darzustellen. So kann die Wirklichkeit simuliert werden. Häufig starten Untersuchungen mit der Frage: «Was passiert, wenn bestimmte Einflussfaktoren sich ändern?» (zum Beispiel: CO2-Ausstoss, Temperatur, Wilddichte, Waldstandorte, usw.).

 

Welche Modelle sind von Bedeutung für die Waldbewirtschaftung?

Grundsätzlich stehen den Waldbewirtschafterinnen und -bewirtschaftern zahlreiche Modelle, d. h. Hilfsmittel, zur Verfügung. Nachfolgend einige Beispiele aus unserer fast täglichen Tätigkeit: klimatische Modelle, Modelle im Naturgefahrenbereich (etwa Gefahrenhinweiskarten), Modelle zur Schutzwaldausscheidung, Waldentwicklungsmodelle (Mortalität, Wachstum, Sukzession, u. a. m.), Optimierungsmodelle der Walderschliessung, Modelle zur Prognose der lokalen Waldbrandgefahr, Hinweiskarten für Waldstandorte, Simulation der Borkenkäferentwicklung, Simulation des Waldzustandes heute und morgen, Modelle zur Ausscheidung von sensitiven Waldstandorten und Beständen, Modelle zur Darstellung des potenziellen Vorkommens von Baumarten und viele weitere.

 

Welche Vorteile und Grenzen haben Modelle für die Waldbewirtschaftung heute und in der Zukunft?

Im Folgenden werden die Vorteile und Grenzen anhand zweier Beispielmodelle aus der Praxis diskutiert: die Standorthinweiskarte und die Tree App.

Der Kanton Graubünden verfügt über keine flächige Kartierung der Waldstandorte. Eine Standorthinweiskarte (2011) stellt die Abschätzung des wahrscheinlichsten und zweitwahrscheinlichsten ­Waldstandortes anhand einer Modellierung dar. Die Modellierung basiert auf «SilvaProtect» und wurde an die Systematik der Waldstandorte Graubündens angepasst. Pro Standortregion und Höhenstufe wurde nur eine Auswahl an Waldstandorten zugelassen, welche gemäss Schlüssel der Waldstandorte dort vorkommen. Einige Sonderwaldstandorte und selten vorkommende Waldstandorte wurden unterdrückt. Das Ergebnis des Modells ist eine Pixelkarte mit Auflösung 10 x 10 m, welche anschliessend vektorisiert wurde. Die Feinheit der Outputkarte täuscht aber eine Genauigkeit vor, die das Modell effektiv nicht leisten kann.

Die Hinweiskarte wird viel gebraucht, vor allem als Grundlage für grossflächige Planungsarbeiten, bei denen terrestrische Feldaufnahmen aus Ressourcengründen nicht möglich sind. Konkret liefert ­sie wertvolle Hinweise für forstliche Eingriffe und Betriebsplanungen. Eine Überprüfung der Waldstandorte im Gelände soll aber im Rahmen der Definition des Handlungsbedarfes sowie der Bestandskartierung durchgeführt werden.

Abb.1: Gemäss regionalem Schlüssel: Typischer hochmontaner Perlgras-Fichtenwald (54) in Scuol, Sfondraz. Je nach Hanglage und Exposition entwickeln sich unterschiedliche Laubmischwälder. Die neuen Laubmischwälder sind noch nicht Teil des regionalen Schlüssels. (Bilder: AWN Scuol)

Für die zukünftige Waldbewirtschaftung spielt eine solche Karte eine wichtige Rolle, indem sie eine gute Datengrundlage zur Modellierung von sensitiven Waldstandorten sowie zur Modellierung der Entwicklung der aktuellen Waldstandorte unter verschiedenen Klimaszenarien liefert.

Eine grosse Herausforderung stellt die Abschätzung der Entwicklung von gewissen Waldstandorten dar. Die Modellierung der Höhenstufen zeigt klar, dass sich zum Beispiel hochmontane Fichtenwälder unter mässigem und starkem Klimawandel Richtung colline Laubmischwälder entwickeln. Der Prozess läuft schon, und eine feinere und detailliertere Zuordnung der neuen Waldstandorte innerhalb der neuen Höhenstufe ist je nach regionalem Schlüssel gar nicht so trivial.

Die Entwicklung und Veränderung einiger Waldgesellschaften können in unseren Wäldern in unterschiedlichen Stadien bereits beobachtet werden (siehe Bilder 1–3).

Abb. 2: Gemäss regionalem Schlüssel: Typischer Perlgras-Fichtenwald, artenarme Ausbildung (54x) in Valsot, Tschern.

Die Nadelbaumarten verjüngen sich kaum mehr. Künftig werden Sträucher und Edellaubhölzer dominieren (Kirschbaum, Rotholunder, Haselstrauch, Vogelbeere, ...).

Ein weiteres nützliches Hilfsmittel für die Praxis ist die Anwendung Tree App, seit September 2020 als Online-Tool veröffentlicht. Tree App unterstützt die Waldbewirtschafterinnen und Waldbewirtschafter bei der Definition der Standortentwicklung und liefert eine Baumartenempfehlung für jeden Punkt im Schweizer Wald.

Sowohl Waldstandortentwicklung als Baumartenempfehlung sind gute Grundlagen für jeden waldbaulichen Eingriff (nicht nur bei Pflanzungen!), weil diese die Definition des Waldbauzieles unterstützen können. Die Anwender bringen Fachwissen über die lokalen Bedingungen im Wald mit, welches entscheidend ist für die Verfeinerung und lokale Anpassung der Tool-Empfehlungen. Dieser Schritt ist unentbehrlich und ein wichtiger Erfolgsfaktor, da die Massnahmen an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden müssen. Zum Beispiel kann es sein, dass einige empfohlene Baumarten vielleicht für die ersten Etappenziele je nach Standort und Ausgangslage noch nicht in Frage kommen.

 

Ausblick

Veränderungen in unseren Wäldern sind an sich keine Neuigkeit, aber die aktuelle Tragweite, Bedeutung und Geschwindigkeit sind markant. Dies wird auch durch mehrere Waldentwicklungsmodelle (wie zum Beispiel FORTE Future, LandClim, …) bestätigt. Diese Instrumente werden kontinuierlich weiterentwickelt und könnten je nach Auflösung der Modellierungen und Benutzerfreundlichkeit der Anwendung auch für die Praxis bedeutender werden.

Abb. 3: Gemäss regionalem Schlüssel: Hauhechel-Föhrenwald mit Buntreitgras (65C) in Valsot, God Mingèr.

Die Waldföhre verjüngt sich kaum. Die Fichte wird (mittelfristig?) dominant werden.

Eine Standorthinweiskarte sollte unsere Wälder beschreiben können. Aber: Was passiert, wenn die durch den Klimawandel neu entstandenen Waldstandorte noch nicht Teil der ins Modell zugelassenen Waldstandorte sind? Künftig könnte eine Aktualisierung unserer Systematik der Waldstandorte Graubündens nötig werden. Neu sollte das Profil des Standortes auch die möglichen Entwicklungen skizzieren. Die Entwicklungstendenz eines Standortes oder Bestandes soll bei jeder Planungsarbeit prominenter in unseren Gedanken werden. Tree App kann in diesem Bereich eine gute Entscheidungshilfe sein. Falls der Waldstandort mit mässigem und starkem Klimawandel gleich bleibt und sich nur die Höhenstufe ändert, ist das standortkundliche Wissen der Waldbewirtschafterin und des Waldbewirtschafters gefragt. Sie sollen die künftigen Waldstandorte abschätzen. Eine zusätzliche zentrale Aufgabe nach der Auswahl des Standortes ist die Definition des Waldbauzieles, dies bedingt gute Kenntnisse der Baumarten und ihrer Standortansprüche. Die Komplexität und Unsicherheiten nehmen beim Entscheidungsvorgang zu. Die zukünftige Waldbewirtschaftung braucht Entscheidungshilfen, und die Modelle sind wichtige Instrumente dafür. Die Empfehlungen stellen jedoch kein «Kochbuch-Rezept» dar. Ein weiteres Tool sollte die notwendigen Überlegungen, Anpassungen und Entscheidungen der Waldbewirtschafterinnen und Waldbewirtschafter einfach und schnell intern dokumentieren können.

Abb.4: Vogelperspektive von Sfondraz, die Offensive seitens Laubbaumarten ist erfolgreich und bemerkenswert. (Bild: Antonin Hugentobler)

Das Potenzial von Modellen ist enorm und soll ausgenutzt werden. Sie liefern wertvolle Szenarien und Informationen für die Praktikerinnen und Praktiker, welche die Ergebnisse vorsichtig als Arbeits- und Gedankenstützen berücksichtigen sollen. Schlussendlich ist das Zusammenspiel von Modellen und lokalem Wissen entscheidend für eine erfolgreiche Waldbewirtschaftung.

 

Giorgio Renz ist ETH-Umwelt-Naturwissenschaftler und als Regionalforstingenieur Waldökologie der Wald-Region Südbünden tätig.

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