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Wert und Verwendung von Modellen für die zukünftige Waldbewirtschaftung, ein Einblick aus der Praxis

Dieser Beitrag möchte Eindrücke aus dem Feld vorstellen betreffend Handhabung und Bedeutung von einigen Modellen, die in der Waldbewirtschaftung genutzt werden. Damit soll folgende Diskussion angeregt werden: «Wo gibt es Lücken? Was könnten wir uns noch wünschen? Wo sind die Grenzen? Wie könnten wir noch besser werden?» Autor: Giorgio Renz

Kurze Begriffserläuterung: Was sind Modelle? Modelle sind eine vereinfachte Abbildung der Wirklichkeit mit dem Ziel, die zu untersuchenden Objekte in eine handhabbare Form, aber immer noch akkurat, darzustellen. So kann die Wirklichkeit simuliert werden. Häufig starten Untersuchungen mit der Frage: «Was passiert, wenn bestimmte Einflussfaktoren sich ändern?» (zum Beispiel: CO2-Ausstoss, Temperatur, Wilddichte, Waldstandorte, usw.).

 

Welche Modelle sind von Bedeutung für die Waldbewirtschaftung?

Grundsätzlich stehen den Waldbewirtschafterinnen und -bewirtschaftern zahlreiche Modelle, d. h. Hilfsmittel, zur Verfügung. Nachfolgend einige Beispiele aus unserer fast täglichen Tätigkeit: klimatische Modelle, Modelle im Naturgefahrenbereich (etwa Gefahrenhinweiskarten), Modelle zur Schutzwaldausscheidung, Waldentwicklungsmodelle (Mortalität, Wachstum, Sukzession, u. a. m.), Optimierungsmodelle der Walderschliessung, Modelle zur Prognose der lokalen Waldbrandgefahr, Hinweiskarten für Waldstandorte, Simulation der Borkenkäferentwicklung, Simulation des Waldzustandes heute und morgen, Modelle zur Ausscheidung von sensitiven Waldstandorten und Beständen, Modelle zur Darstellung des potenziellen Vorkommens von Baumarten und viele weitere.

 

Welche Vorteile und Grenzen haben Modelle für die Waldbewirtschaftung heute und in der Zukunft?

Im Folgenden werden die Vorteile und Grenzen anhand zweier Beispielmodelle aus der Praxis diskutiert: die Standorthinweiskarte und die Tree App.

Der Kanton Graubünden verfügt über keine flächige Kartierung der Waldstandorte. Eine Standorthinweiskarte (2011) stellt die Abschätzung des wahrscheinlichsten und zweitwahrscheinlichsten ­Waldstandortes anhand einer Modellierung dar. Die Modellierung basiert auf «SilvaProtect» und wurde an die Systematik der Waldstandorte Graubündens angepasst. Pro Standortregion und Höhenstufe wurde nur eine Auswahl an Waldstandorten zugelassen, welche gemäss Schlüssel der Waldstandorte dort vorkommen. Einige Sonderwaldstandorte und selten vorkommende Waldstandorte wurden unterdrückt. Das Ergebnis des Modells ist eine Pixelkarte mit Auflösung 10 x 10 m, welche anschliessend vektorisiert wurde. Die Feinheit der Outputkarte täuscht aber eine Genauigkeit vor, die das Modell effektiv nicht leisten kann.

Die Hinweiskarte wird viel gebraucht, vor allem als Grundlage für grossflächige Planungsarbeiten, bei denen terrestrische Feldaufnahmen aus Ressourcengründen nicht möglich sind. Konkret liefert ­sie wertvolle Hinweise für forstliche Eingriffe und Betriebsplanungen. Eine Überprüfung der Waldstandorte im Gelände soll aber im Rahmen der Definition des Handlungsbedarfes sowie der Bestandskartierung durchgeführt werden.

Abb.1: Gemäss regionalem Schlüssel: Typischer hochmontaner Perlgras-Fichtenwald (54) in Scuol, Sfondraz. Je nach Hanglage und Exposition entwickeln sich unterschiedliche Laubmischwälder. Die neuen Laubmischwälder sind noch nicht Teil des regionalen Schlüssels. (Bilder: AWN Scuol)

Für die zukünftige Waldbewirtschaftung spielt eine solche Karte eine wichtige Rolle, indem sie eine gute Datengrundlage zur Modellierung von sensitiven Waldstandorten sowie zur Modellierung der Entwicklung der aktuellen Waldstandorte unter verschiedenen Klimaszenarien liefert.

Eine grosse Herausforderung stellt die Abschätzung der Entwicklung von gewissen Waldstandorten dar. Die Modellierung der Höhenstufen zeigt klar, dass sich zum Beispiel hochmontane Fichtenwälder unter mässigem und starkem Klimawandel Richtung colline Laubmischwälder entwickeln. Der Prozess läuft schon, und eine feinere und detailliertere Zuordnung der neuen Waldstandorte innerhalb der neuen Höhenstufe ist je nach regionalem Schlüssel gar nicht so trivial.

Die Entwicklung und Veränderung einiger Waldgesellschaften können in unseren Wäldern in unterschiedlichen Stadien bereits beobachtet werden (siehe Bilder 1–3).

Abb. 2: Gemäss regionalem Schlüssel: Typischer Perlgras-Fichtenwald, artenarme Ausbildung (54x) in Valsot, Tschern.

Die Nadelbaumarten verjüngen sich kaum mehr. Künftig werden Sträucher und Edellaubhölzer dominieren (Kirschbaum, Rotholunder, Haselstrauch, Vogelbeere, ...).

Ein weiteres nützliches Hilfsmittel für die Praxis ist die Anwendung Tree App, seit September 2020 als Online-Tool veröffentlicht. Tree App unterstützt die Waldbewirtschafterinnen und Waldbewirtschafter bei der Definition der Standortentwicklung und liefert eine Baumartenempfehlung für jeden Punkt im Schweizer Wald.

Sowohl Waldstandortentwicklung als Baumartenempfehlung sind gute Grundlagen für jeden waldbaulichen Eingriff (nicht nur bei Pflanzungen!), weil diese die Definition des Waldbauzieles unterstützen können. Die Anwender bringen Fachwissen über die lokalen Bedingungen im Wald mit, welches entscheidend ist für die Verfeinerung und lokale Anpassung der Tool-Empfehlungen. Dieser Schritt ist unentbehrlich und ein wichtiger Erfolgsfaktor, da die Massnahmen an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden müssen. Zum Beispiel kann es sein, dass einige empfohlene Baumarten vielleicht für die ersten Etappenziele je nach Standort und Ausgangslage noch nicht in Frage kommen.

 

Ausblick

Veränderungen in unseren Wäldern sind an sich keine Neuigkeit, aber die aktuelle Tragweite, Bedeutung und Geschwindigkeit sind markant. Dies wird auch durch mehrere Waldentwicklungsmodelle (wie zum Beispiel FORTE Future, LandClim, …) bestätigt. Diese Instrumente werden kontinuierlich weiterentwickelt und könnten je nach Auflösung der Modellierungen und Benutzerfreundlichkeit der Anwendung auch für die Praxis bedeutender werden.

Abb. 3: Gemäss regionalem Schlüssel: Hauhechel-Föhrenwald mit Buntreitgras (65C) in Valsot, God Mingèr.

Die Waldföhre verjüngt sich kaum. Die Fichte wird (mittelfristig?) dominant werden.

Eine Standorthinweiskarte sollte unsere Wälder beschreiben können. Aber: Was passiert, wenn die durch den Klimawandel neu entstandenen Waldstandorte noch nicht Teil der ins Modell zugelassenen Waldstandorte sind? Künftig könnte eine Aktualisierung unserer Systematik der Waldstandorte Graubündens nötig werden. Neu sollte das Profil des Standortes auch die möglichen Entwicklungen skizzieren. Die Entwicklungstendenz eines Standortes oder Bestandes soll bei jeder Planungsarbeit prominenter in unseren Gedanken werden. Tree App kann in diesem Bereich eine gute Entscheidungshilfe sein. Falls der Waldstandort mit mässigem und starkem Klimawandel gleich bleibt und sich nur die Höhenstufe ändert, ist das standortkundliche Wissen der Waldbewirtschafterin und des Waldbewirtschafters gefragt. Sie sollen die künftigen Waldstandorte abschätzen. Eine zusätzliche zentrale Aufgabe nach der Auswahl des Standortes ist die Definition des Waldbauzieles, dies bedingt gute Kenntnisse der Baumarten und ihrer Standortansprüche. Die Komplexität und Unsicherheiten nehmen beim Entscheidungsvorgang zu. Die zukünftige Waldbewirtschaftung braucht Entscheidungshilfen, und die Modelle sind wichtige Instrumente dafür. Die Empfehlungen stellen jedoch kein «Kochbuch-Rezept» dar. Ein weiteres Tool sollte die notwendigen Überlegungen, Anpassungen und Entscheidungen der Waldbewirtschafterinnen und Waldbewirtschafter einfach und schnell intern dokumentieren können.

Abb.4: Vogelperspektive von Sfondraz, die Offensive seitens Laubbaumarten ist erfolgreich und bemerkenswert. (Bild: Antonin Hugentobler)

Das Potenzial von Modellen ist enorm und soll ausgenutzt werden. Sie liefern wertvolle Szenarien und Informationen für die Praktikerinnen und Praktiker, welche die Ergebnisse vorsichtig als Arbeits- und Gedankenstützen berücksichtigen sollen. Schlussendlich ist das Zusammenspiel von Modellen und lokalem Wissen entscheidend für eine erfolgreiche Waldbewirtschaftung.

 

Giorgio Renz ist ETH-Umwelt-Naturwissenschaftler und als Regionalforstingenieur Waldökologie der Wald-Region Südbünden tätig.