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"Bündnerwald" Oktober 2020

Mit Luftunterstützung gegen den Borkenkäfer

Der Klimawandel setzt vor allem den Fichtenbeständen zu und begünstigt die Lebensbedingungen des Borkenkäfers. Die Früherkennung von drohenden Massenvermehrungen des Borkenkäfers ist eine grosse Herausforderung, die immer wieder neuer Ideen und Möglichkeiten bedarf. Die Zusammenarbeit von luft- und bodengestützten Überwachungssystemen scheint sich immer öfter zu bewähren und wird ständig weiterentwickelt und verbessert. Autor: Kurt Wöls, Bernd Cresnar

Mit Luftunterstützung im Kampf gegen den Borkenkäfer

 

Autor: Kurt Wöls, Bernd Cresnar

 

In den kommenden Jahren stehen die Förster und Försterinnen vor der grossen Herausforderung, sowohl Wirtschafts- wie auch Schutzwälder wirtschaftlich und ökologisch klimafit zu kriegen – und das «bei laufendem Betrieb». Unterstützung gibt es dabei jetzt aus der Luft: Unmanned Aerial Vehicles (UAVs), besser bekannt als Drohnen, werden mit speziellen Kameras und künstlicher Intelligenz ausgestattet und helfen beim Auffinden von bestehendem oder drohendem Käferbefall.

Der Klimawandel lässt bereits seit einigen Jahrzehnten einen weltweiten Temperaturanstieg beobachten, und im Alpenraum wird dieser in Zukunft vermutlich noch höher ausfallen als in tieferen Lagen. Je wärmer es wird, desto schneller entwickelt sich aus dem Ei ein Borkenkäfer. Bei einer Durchschnittstemperatur von 19° C dauert das beim Buchdrucker etwas mehr als sieben Wochen, bei durchschnittlich 24° C jedoch nurmehr fünf Wochen! Höhere Jahresmitteltemperaturen, veränderte Niederschlagsmengen und Wetterkapriolen beeinflussen die Vitalität der Wälder negativ. Zusammen mit Sturm- und Schneeschäden begünstigt die physiologische Schwächung der Bäume die Anfälligkeit für Forstschädlinge wie Borkenkäfer, Pilze und Mikroorganismen.

Weil sich die Wälder nicht so schnell wandeln können wie das Klima, ist ein aktives und effizientes Waldmanagement essenziell, um wirtschaftlichen und environmentalen Schäden vorzubeugen bzw. diese möglichst gering zu halten. Dabei gehen Förster und Försterinnen mit der Zeit und greifen immer öfter auch zu modernen und digitalen Technologien. Georeferenzierte Multispektralfotografie und Datenauswertung auf Basis künstlicher Intelligenz sind ein Beispiel dafür.

Dabei werden – bei kleineren Flächen mit sogenannten Multikoptern, bei grösseren mit Leichtflugzeugen – Waldgrundstücke im Rastersystem überflogen und dabei mit einer Spezialkamera Luftbildaufnahmen in dem für das menschliche Auge nicht sichtbaren nahen Infrarotbereich des Lichts gemacht. Diese werden später am Computer analysiert und mit dem NDVI (normalisierter differenzierter Vegetationsindex) ausgewertet.

So entstehen Vegetationskarten der überflogenen Flächen, die über deren Vitalität Auskunft geben. Durch die Georeferenzierung der Bilder können Problembereiche und sogar einzelne Problembäume anhand der GPS-Daten genau lokalisiert und gezielt vom Förster angegangen und überprüft werden. (Übrigens immer öfter auch in Begleitung eines Käferspürhundes, dessen Einsatz so effektiver gestaltet werden kann.) Um eine höhere Aussagekraft bei der Unterscheidung zwischen temporären kurzfristigen Stresssituationen und langfristig geschädigten Flächen oder Einzelbäumen zu erhalten, müssen Bildserien aus mindestens zwei zeitlich versetzten Flügen miteinander verglichen werden. Die besten Ergebnisse liefert aber ein kontinuierliches Monitoring in regelmässigen Abständen, da die dahinterliegende Software bei jedem Flug über das zu analysierende Gebiet «aus der Erfahrung lernt» und sich selbst optimiert.

Die Software kann in ähnlicher Form auch für die Auswertung von Satellitenbildern verwendet werden, allerdings können dann aufgrund der Bildauflösung keine Rückschlüsse auf Einzelbäume, sondern nur auf Bestandsflächen gezogen werden.

Während in der Landwirtschaft die Methode schon als etabliert gilt und bereits von vielen Landwirten für die präzise Düngemittel- und Pflanzenschutzausbringung sowie Bodenbearbeitung etc. angewendet wird, ist sie im Forst noch relativ neu.

Die Schwierigkeit liegt wortwörtlich «in der Natur der Sache»: Je nach Vegetationsphase einer Pflanze ändert sich die Absorptionsrate von Licht, einer bestimmten Wellenlänge auch im vitalen, «gesunden» Zustand. Daher bedürfen die Bilddaten selbst bei gleichen Werten unterschiedlicher Interpretation je nach Zeitpunkt der Aufnahme im Vegetationszyklus. Auch atmosphärische Einflüsse wie Sonnenstand, Schatten oder Wolken beeinflussen die Bilddaten und müssen daher bei der Analyse berücksichtigt werden. Ein zielführender Ansatz ist hier, nicht von Absolutwerten, sondern jeweils von Differenzen zwischen den Objekten einer Beobachtungsfläche auszugehen.

In Österreich beispielsweise lief unlängst ein Pilotprojekt der Landwirtschaftskammer Oberösterreich auf rund 1300 Hektar Wald von insgesamt etwa 140 Waldeigentümern, bei dem das BFW (Bundesforschungszentrum für Wald) eine detaillierte Vor-Ort-Überprüfung der aktuellen NDVI- basierten Auswertung und Dateninterpretation nach wissenschaftlichen Kriterien vornimmt. Der gemeinsame Endbericht wird im Winter 2020/2021 publiziert.

In Deutschland wird bei den Bayerischen Staatsforsten bereits seit 4 Jahren parallel mit Suchtrupps am Boden sowie mit Luftbildauswertungen gegen die Massenausbreitung der Borkenkäfer vorgegangen. Durch die regelmässigen Rückmeldungen in Bezug auf Treffergenauigkeit und Relevanz der als befallen bzw. gefährdet ausgewiesenen Bäume und Flächen wird der zur Datenanalyse und Interpretation verwendete Algorithmus laufend verbessert.

In der Schweiz fanden ab 2019 Projekte in insgesamt sechs Kantonen statt und 2021 wird es zur Fortsetzung einiger dieser Projekte kommen. In Tieflagen musste man zwar zur Kenntnis nehmen, dass eine Früherkennung von Käferbefall «zwar technisch funktioniert» und sogar seitens der allermeisten Kunden mit Trefferquoten von deutlich mehr als ²⁄³ positiv wahrgenommen wird, jedoch die Absetzbarkeit des frühzeitig mit Käferbefall detektierten Holzes teilweise nicht mehr gegeben war. Den zeitlichen Vorsprung aus der Technologie konnte man dort holzmarktbedingt nicht mehr nutzen.

In den meisten Fällen aber, speziell übrigens dort, wo wenig Forstpersonal auf grosse zu betreuende Flächen stösst, kann Borkenkäfermonitoring aus der Luft wesentliche Vorteile bringen: Einerseits ist dies die Vermarktung des noch früh befallenen Holzes als Frischholz statt als Käferholz mit wesentlichen Preisvorteilen in den Sägewerken. Andererseits aber auch in Hinblick auf die Vermeidung der weiteren Verbreitung der Käfer im angrenzenden, noch nicht befallenen Bestand …

 

«Schaden erkennen, bevor man ihn sieht»

Die Österreicher Kurt Wöls und Bernd Cresnar, beide selber Waldbesitzer, beschäftigen sich vorwiegend mit der Entwicklung von Lösungen für die Früherkennung von Borkenkäferpopulationen.

Weiterführende Informationen zu Systemen für die Früherkennung von Käferbefall sind u. a. zu finden unter: www.festmeter.at – Borkenkäferfrüherkennung; www.bodogs.at – Borkenkäferspürhunde.

Digitalisierung auf Knopfdruck

Arbeitsprozesse im Forstbetrieb erleichtern: Mit LogBuch bietet eine Tochtergesellschaft der Firma STIHL eine digitale Lösung, die durch ihre intuitive und schnelle Anwendung vor allem eins verspricht – mehr Zeit fürs Wesentliche! Autor: Jens Dittrich

Digitalisierung auf Knopfdruck

 

Autor: Jens Dittrich

 

«Buche, BHD 60, Güte B, Seilwinde, Vorsicht Tot­holz in der Krone», spricht der Förster auf, während er den Baum für den nächsten Hieb auszeichnet. Was auf den ersten Eindruck vielleicht als Selbstgespräch erscheinen mag, ist in Wahrheit der erste Schritt für die digitale Arbeitsvorbereitung mit dem System LogBuch.

Aber warum sprechen? Schon in der Entwicklungsphase dieser digitalen Lösung war schnell klar, dass die Erfassung von Daten im Revieralltag keinen zusätzlichen Aufwand für den Nutzer bedeuten darf. Dieses Ergebnis lieferte eine Befragung von über 100 Revierleitern. Denn die bisherigen Methoden, Informationen per Zettel und Stift oder durch Eintippen festzuhalten, haben sich in der Forstwirtschaft als zu aufwendig und unpraktisch erwiesen. Also gelangte man rasch zu der Erkenntnis, dass die Datenaufnahme mit LogBuch über die Sprache des Nutzers erfolgen muss.

Mittlerweile ist das System, das durch die STIHL-Tochtergesellschaft SDP Digitale Produkte GmbH mit Sitz in Waiblingen weiterentwickelt wird, bereits seit zwei Jahren in zahlreichen Forstbetrieben in Deutschland, aber auch in der Schweiz und in Österreich im Einsatz.

Was kann das System nun konkret? LogBuch ist die bislang einzige Kombination aus Geolokalisa­tion und Spracherfassung. Mit der LogBuch-App lassen sich Bäume und andere wichtige Objekte draussen im Revier ganz einfach verorten. Über einen externen Bluetooth-Button erfolgt auf Knopfdruck die Speicherung der Geodaten. Gleichzeitig kann man zu jeder Ortsmarke wichtige Informationen per Spracheingabe festhalten. Besonders zu erwähnen ist hier, dass die LogBuch-App offline funktioniert. Sprich, für die Anwendung muss kein Handynetz verfügbar sein. Diese Anforderung musste auch der Tatsache gerecht werden, dass im Wald bzw. im ländlichen Raum leider oftmals keine oder nur schlechte Netzverbindungen bestehen.

Mit dem System kann also z. B. der Förster schon beim Anzeichnen oder Reviergang im wahrsten Sinne des Wortes mit Sprache wichtige Informationen festhalten – und das quasi im Vorbeigehen. Sobald das Smartphone dann entweder in einem WLAN ist oder eine LTE-Netzverbindung besteht, werden die Daten synchronisiert.

Die LogBuch-App wandelt dabei Sprache zu Text um und stellt alle Geopunkte auf übersichtlichen Karten zur Verfügung. Alle Daten werden über eine Cloudlösung im LogBuch-Webportal gespeichert und können dort be- und weiterverarbeitet werden.

So können die mit LogBuch im Revier erhobenen Informationen zum Beispiel als Grundlage für die Arbeitsvorbereitung genutzt werden. Musste der Forstwart – vor allem in unübersichtlichen Beständen mit vielschichtiger Naturverjüngung – bis dato die Bäume «suchen», erhält er mit der Log­Buch-Karte nun die exakten Standorte jedes zu fällenden Baums. Und nicht nur das: Für jedes verortete Objekt bekommt er zudem die detaillierten Informationen, die der Förster bei der Vorbereitung hinterlegt hat, gleich mitgeliefert. So können Forstwarte noch bevor sie den Bestand überhaupt betreten, nun genau planen, welches Werkzeug an welchem Objekt überhaupt zum Einsatz kommen soll. Das spart Kraft und letztendlich jede Menge Zeit.

Selbstverständlich ist der Erfolg jedes Systems davon abhängig, wie man es einsetzt. In dem beschriebenen Beispiel der Holzernte kommt der Nutzen vor allem dann zum Tragen, wenn jeder zu fällende Baum auch mit den relevanten Informatio­nen hinterlegt wird. Durch den Hinweis «Totholz in der Krone» etwa, erhält der Geopunkt auf der Karte zusätzlich einen roten «Kringel». Dieser signalisiert dem Forstwirt schon vor dem Herantreten an den Baum, dass hier eine besondere Gefahr existiert. Weniger (unnötige) Laufwege verringern zudem die Gefahr, im Wald umzuknicken oder zu stürzen. Eine Abschlussarbeit an der forstlichen Fachhochschule in Rottenburg (D) verglich das Arbeitsverfahren mit und ohne LogBuch. Das Resultat: Die Laufwege der Waldarbeiter wurden durch die exakte Vorbereitung mit dem LogBuch-System in den Untersuchungen um 21 Prozent reduziert (Schraitle, 2018).

Einen weiteren wichtigen Aspekt möchte das Team von LogBuch mit seinem System anbieten: die digitale Vernetzung aller Akteure in der Holzprozesskette. Denn die bislang vorhandenen Dienste haben doch meist als «Insellösungen» gezeigt, dass es gerade in der Forstwirtschaft an einem konkreten Informationsfluss mangelt. Hier sind Industrie und Handel in der Logistik mit ihren (digitalen) Abläufen unserer Branche doch deutlich voraus.

Um diese Vernetzung zu ermöglichen, können die mit LogBuch aufgenommenen Informationen in verschiedenster Form «geteilt» werden: analog als ausgedruckte Karte, als Karten-PDF zum Versenden per E-Mail etwa oder als Export in den gängigen Geoformaten für den Import in Drittsysteme. So können z. B. LogBuch-Punkte als Shape-Datei (per E-Mail versendet oder über einen USB-Stick) an das Harvester-System übermittelt oder in bestehende GIS-Systeme eingespeist werden.

LogBuch bietet aber vor allem innerhalb des eigenen Systems eine direkte Vernetzung an.

Hier kann ein LogBuch-Nutzer seine Informationen mit anderen LogBuch-Nutzern teilen. So kann der Revierleiter z. B. einem Forstunternehmer LogBuch-Daten über die «Sharing-Funktion» freigeben und festlegen, ob dieser die Infos nur sehen oder auch selbst bearbeiten darf. Über eine Statusvergabe lassen sich etwa Bäume oder Bestände kategorisieren. Legt der Revierleiter für einen Baum etwa den Status «Rot» fest (Rot steht z. B. für «muss gefällt werden») liesse sich mit dem Unternehmer vereinbaren, dass dieser den Status des Baums ändert (z. B. auf «Grün»), wenn er den Baum gefällt und zum Forstweg gerückt hat. So erhält der Revierleiter zu jeder Zeit den aktuellen Stand der geplanten Massnahmen.

Mit den bestehenden Funktionen in LogBuch kann so der gesamte Prozess – von der Arbeitsvorbereitung bis zur Abfuhr des vermarkteten Holzes – abgelichtet werden. Durch die verbesserte Kommunikation werden unnötige Lauf- und Fahrwege vermieden. Das spart Kosten und schafft am Ende mehr Zeit – Zeit, die man für Wesentliches, wie etwa den nicht nur durch den Klimawandel so wichtigen Waldbau, nun viel besser nutzen kann.

 

Jens Dittrich, Dipl. Forstingenieur (FH), ist bei LogBuch zuständig für Marketing und Vertrieb in Süddeutschland, Österreich und in der Schweiz.

 

Weitere Infos unter: www.logbuch.xyz

Steinschlag und der Wald -der effektiven Schutzwirkung auf der Spur

Dem aufmerksamen Gebirgswaldbesucher ist das Phänomen hinlänglich bekannt: In felsdurchsetztem, waldigem Gelände findet man hinter vielen grösseren, aber eben auch kleineren Bäumen abgelagerte Steine in unterschiedlicher Grösse. Um die Schutzwirkung des Waldes bezüglich Steinschlag genauer zu untersuchen, führt die SLF-Forschungsgruppe RAMMS verschiedene Experimente durch, dessen Erkenntnisse dann in das Simulationsprogamm RAMMS::ROCKFALL fliessen. Autor: Andrin Caviezel und Adrian Ringenbach

Steinschlag und der Wald – der effektiven Schutzwirkung auf der Spur

Dem aufmerksamen Gebirgswaldbesucher ist das Phänomen hinlänglich bekannt: In felsdurchsetztem, waldigem Gelände findet man hinter vielen grösseren, aber eben auch kleineren Bäumen abgelagerte Steine in unterschiedlicher Grösse. Um die Schutzwirkung des Waldes bezüglich Steinschlag genauer zu untersuchen, führt die SLF-Forschungsgruppe RAMMS verschiedene Experimente durch, dessen Erkenntnisse dann in das Simulationsprogamm RAMMS::ROCKFALL fliessen.

Autor: Andrin Caviezel und Adrian Ringenbach

 

Die Forschungsgruppe RAMMS am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos befasst sich schon lange mit der Entwicklung von Simulationsprogrammen für gravitative Naturgefahren. Das bestbekannte Modul ist RAMMS::AVALANCHE, mit welchem Lawinen in realistischem Gelände simuliert werden können und so wertvolle Aufschlüsse über deren Einwirkungen in den Gefahrenzonen liefert. Seit einigen Jahren existiert nun auch das äquivalente Modul für Sturzbewegungen, RAMMS::ROCKFALL. Auch hier können auf exakten Höhenmodellen die möglichen Sturzbahnen der zu erwarteten Steine digital berechnet werden und so die Gefahrenanalyse des Ingenieurs mit einem räumlichen Eindruck der drohenden Steinschlaggefahr ergänzen. Hierbei sind Grössen wie die zu erwartenden Geschwindigkeiten – und somit Energien – wie auch die Sprunghöhen von Interesse, weil diese die Grösse und auch Kosten allfälliger Schutzmassnahmen massgebend bestimmen.

Jedes Modell bedarf guter Eingabedaten. Für eine RAMMS::ROCKFALL-Simulation bedarf es einer detaillierten Kartierung der vorhandenen Bodentypen, ein gut aufgelöstes, fehlerfreies Höhenmodel und eine Vorstellung der Steinform und -grösse. Hier unterscheidet sich RAMMS von anderen Modellen, da jeder Stein-Boden-Kontakt genau nachgerechnet wird unter Berücksichtigung der Steinform und Aufprallorientierung. Mit gleichen Bodenparametern für alle Steine und Massen ergibt sich natürlicherweise, dass zum Beispiel sehr plattige Steine oftmals ins Rutschen kommen und dadurch schnell einmal durch eine vorhandene Bodenrauigkeit aufgehalten werden. Der typische Steinschlaghang kann oft durch eine steile, felsige Ausbruchfläche, einer mehr oder minder bewachsenen, steilen Transitzone und einem flachen Auslauf mit der zu schützenden Infrastruktur beschrieben werden. Die genaue Eingrenzung der Bodenparameter für diesen Typus von alpinem Hang ist essenziell für eine verlässliche Simulation. Zu diesem Zweck führte die RAMMS-Gruppe seit einigen Jahren vor allem am Flüelapass wiederholt künstliche Steinschlagexperimente durch, um auch eine systematische Datengrundlage für die Beantwortung dieser Fragen zu bekommen. So ergaben sich aus diesen Experimenten Aufschlüsse über den Energieverlust bei jedem Einschlag und insbesondere dessen Abhängigkeit bezüglich Geschwindigkeit und Bodentyp. Zudem konnte der Einfluss der Steinform studiert werden, wo sich zeigt, dass würfelförmige Steine seitlich weniger weit gestreut werden als radähnliche Steine.

 

Der Wald schützt, aber wie stark?

Bei sehr vielen Beispielen stellt sich aber bald einmal auch die Frage nach dem Effekt des Waldes, da die Transitzone oftmals bewaldet ist. Der grosse Stein hinter kleinen Bäumen regt zum Nachdenken an: Wie erreichte der Stein seinen ­jetzigen Ablagerungsort? Woher kam der Stein? Wie hoch war seine Geschwindigkeit? Wie gross waren die Kräfte, welche vom stoppenden Baum abgefangen wurden? Wie hoch sprang der Stein durch die Luft? Wann war das Ereignis? Befinde ich mich in einer Gefahrenzone? Wie sieht das weiter talwärts aus? Fragen über Fragen, auf welche Erfahrungswerte zwar ein Gefühl vermitteln können, oftmals aber klare Antworten darauf fehlen. Da sich ein Modell nur schlecht mit Gefühlswerten füttern lässt, streben wir eine Quantifizierung der Schutzwirkung des Waldes explizit in Bezug auf einen rollenden oder fliegenden Stein an. Hierzu wurden die Experimente auf bewaldetes Testgelände erweitert, um in Zukunft diese offenen Fragen zumindest teilweise beantworten zu können.

 

Die Surava-Trilogie

Der Austausch mit Praxis und Behörden liegt dem SLF am Herzen und so entstand im Kontakt mit dem AWN Region 4 spontan die Idee für Experimente in einem Waldstück, welches für einen regulären forstlichen Eingriff vorgesehen war. Dank der engen Zusammenarbeit wurde es möglich, Experimente vor dem Schlag, nach dem Schlag mit liegendem Totholz und nach der Räumung durchzuführen. Unterhalb des Felsbands Crap Ot/Crap Pisch südlich von Surava waren im Jahre 2017 mehrere Seillinien forstlicher Eingriffe geplant. Die für ein Experiment am günstigsten zugängliche Seillinie befand sich im Bereich der zweiten Haarnadelkurve der Zubringerstrasse Aclas (2’765’803/1’169’622 CH1903+/LV95). Der Startpunkt ist sowohl in der topografischen Übersichtskarte als auch in der Ablagerungspunktübersicht in Abbildung 1 ersichtlich.

 

 

Die Teststeine bestanden aus 46 kg schweren armierten, betonierten, würfelförmigen EOTA-Blöcken (European Organisation for Technical Assessment), dessen grössere Ausgaben als Normstein in Steinschlagnetztests benutzt werden. Im Zuge der durchgeführten Steinschlagexperimente erwiesen sich künstliche Steine gegenüber natürlichen Steinen als überlegen, einerseits, weil sie robuster fabriziert werden können und andererseits auch die Reproduktion des immer gleichen Steins erlauben.

Die Steine wurden mittels Sensoren, sogenannten StoneNodes, ausgerüstet, welche Rotationen bis 11 Umdrehungen pro Sekunde und Beschleunigungen bis zur 400-fachen Erdbeschleunigung messen können. Dadurch kann man direkt im Stein messen, wie stark ein Aufprall seine Rotation vermindert und wie hart diese Aufschläge sind. Mittels Quad konnten jeweils vier Steine gleichzeitig von der Haarnadelkurve an den Startpunkt gebracht werden. Von da wurden diese nacheinander losgelassen und am Ablagerungspunkt mittels hochgenauem GNSS-Empfänger eingemessen. Wenn nötig, wurden die Steine mittels Spillwinde bis zur Haarnadelkurve gezogen, um von da wieder mit dem Quad zum Startpunkt gefahren zu werden. Mit Filmaufnahmen vom Startpunkt aus, von der Haarnadelkurve und mittels einer Drohne versuchten wir, die Steinflugbahnen möglichst lange zu verfolgen. Keine dieser Varianten stellte sich jedoch als zufriedenstellend heraus.

Die Surava-Trilogie dargestellt in Abbildung 1 besteht demnach aus einem Experimentiertag vor dem forstlichen Eingriff, RF13 mit 41 Ablagerungspunkten (rot), einem Tag mit den liegenden Bäumen, RF14 mit 27 Ablagerungspunkten (weiss), und einem Tag nach Räumung der liegenden Stämme, RF15 mit 40 Ablagerungspunkten (blau). Der berechnete Mittelpunkt der jeweiligen Serien ist als gleichfarbiges Fadenkreuz dargestellt. Wenig überraschend kommen Steine bei liegenden Stämmen am wenigsten weit. Der durchschnittliche Ablagerungspunkt liegt mitten in der Schlagfläche. Nur einer der 27 Steine kam unterhalb der liegenden Stämme zum Stillstand. Steine im geräumten Wald haben im Mittel einen 12 Meter längeren Weg zurückgelegt, als jene im ursprünglichen stehenden Wald. Ebenfalls klar ersichtlich sind die früh gestoppten Steine in allen drei Serien, welche aufgrund der Bodenrauigkeit nie Fahrt aufnehmen konnten.

Um diese Bodenrauigkeit möglichst genau abzubilden, bedarf es eines detaillierten Höhenmodelles. Das Bundesamt für Landestopografie swisstopo erstellt schweizweit die swissALTI3D-Höhenmodelle mit einer Gitterauflösung von zwei Metern. Mit fortschreitender Lasertechnologie sind die neusten Modelle bis 0,5 Meter Genauigkeit erhältlich. Trotzdem ergeben sich speziell im Wald immer noch zwei Hauptprobleme: Um die kleinräumige Rauigkeit von Waldböden korrekt darzustellen, braucht es sehr gute Vegetationsfilter, welche in der Lage sind, in der gesamten Masse an Laser-Messpunkten, der sogenannten LiDAR-Punktwolke (siehe z. B. Abb. 2.a), hochstämmige Vegetation von tief liegender Buschvegetation und beides wiederum von rauem Boden zu unterscheiden.

 

 

 Nur dann ergeben sich präzise digitale Höhenmodelle (DHM). Im idealen Fall sind dann auch Informationen über Deckungsgrad, Einzelbaumstandort, Baumhöhen vorhanden. Mit der neusten Generation der LiDAR-Daten, welche im Jahre 2023 von swisstopo für den ganzen Kanton Graubünden bereitgestellt werden sollten, könnte dies schon bald Realität werden. Trotzdem bleibt die Frage, was die kleinste Auflösung dieser Höhenmodelle sein wird, da auch 0,5 Meter für solch kleinskalige Experimente – die zugegebenermassen etwas akademisch sind und vor allem der Weiterentwicklung der Methoden dienen – unzureichend sind.

Erste Simulationen mit RAMMS::ROCKFALL mit einer Zwei-Meter-Auflösung im Höhenmodell zeigten, dass eine zu geringe Auflösung zu einer zu geringen Bremswirkung führt und die Steine oftmals erst weiter unten im Hang auf der flachen Forststrasse zum Stoppen kommen. Daher liessen wir den Hang mittels Hubschrauber per AX60-Trimble-Laserscanner vermessen. Um die gewünschte Punktdichte pro Quadratmeter (durchschnittlich 500 p/m²) zu erreichen, waren mehrere überlappende Flugstreifen notwendig. Nur so war es möglich, ein hochaufgelöstes Höhenmodell aus den LiDAR-Daten zu extrahieren. Der Detailgrad an Informationen eines solchen Höhenmodells ist in Abbildung 2 ersichtlich. Es ist nun nicht nur möglich, ein digitales Höhenmodell mit einer 20-Zentimeter-Auflösung zu generieren, sondern auch via Filteralgorithmen die wirklichen Bodenpunkte zu klassieren (Abb. 2b), Baumhöhen (Abb. 2c) und digital sogar Brusthöhendurchmesser (BHD) und Kronenlängen abzuschätzen (Abb. 2d).

Dieses Höhenmodel wird nun als Grundlage für Simulationen mit RAMMS::ROCKFALL benutzt. Die Simulationsresultate (Abbildung 3) werden mit den Experimenten verglichen.

 

 

Die Bremswirkung der liegenden Stämme, die als zusätzliche 3D-Objekte in der Berechnung eingefügt wurden, ist in der Bildmitte deutlich erkennbar. Dass die liegenden Stämme teilweise aufeinandergestapelt waren, ist in der 3D-Darstellung in Abbildung 4 deutlich zu erkennen.

 

 

Die darauf ebenfalls abgebildeten Sprunghöhen (max. 1,4 m) passen sehr gut zu den maximal im Feld gemessenen Sprunghöhen von 1,3 m. Generell erreichen wir eine gute Übereinstimmung zwischen Experiment und Simulation.

Die Experimente in Surava haben aufgezeigt, wo sowohl die logistischen wie auch konzeptionellen Schwierigkeiten von Steinschlagexperimenten im Wald liegen. Eine realistische Simulation ist nur möglich, wenn die naturgegebenen Randbedingungen möglichst genau ins Modell einfliessen. Zukünftige Arbeiten werden untersuchen, wie stark man zum Beispiel die Rauigkeit glätten kann, um noch aussagekräftige Resultate zu erhalten, oder wie diese künstlich erzeugt werden kann, falls das Höhenmodell nicht diese Genauigkeit aufweisen sollte. Weiterführende Experimente im Wald mit liegendem Totholz und grösseren Steinen sollen zudem Antworten darauf liefern, ob dieses im Wald belassen werden sollte, um eine möglichst effiziente Schutzwirkung und Pflege des Waldes zu erreichen.

 

Andrin Caviezel und Adrian Ringenbach: Ein Physiker und ein Geograf, die im Namen der Wissenschaft Steine den Hang hinunterwerfen.

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