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Bündner Wald Februar 2024

Die Fichte – ein morphologisches Baumporträt

Die Gewöhnliche Fichte (Picea abies), auch bekannt als Rottanne oder Pechtanne, ist der häufigste Waldbaum Graubündens (ca. 2⁄3 der Waldfläche ist damit bestockt; 65 % des Holzvorrats) und die einzige in Mitteleuropa natürlich vorkommende Art dieser Gattung. Ottmar Holdenrieder

Sie gilt als wichtigster «Brotbaum» der Forstwirtschaft, gerät aber aufgrund des Klimawandels zunehmend unter Druck, da sie an kühl-feuchte Umweltbedingungen angepasst ist. Im Tiefland, wo sie sehr häufig angepflanzt wurde, gilt sie deshalb als Auslaufmodell. In höheren Lagen der Gebirge und in Nordeuropa ist die Fichte jedoch auch zukünftig eine unverzichtbare Komponente des Waldökosystems.

 

Abb. 1: Beispiele für Kronenformen der Fichte. a: Kammfichte, b: Plattenfichte, c: Säulenfichte mit hängenden Ästen, d: vom Weidevieh verbissene «Geissentanneli» (im Vordergrund), e: kegelige Kronen und ein Exemplar mit extremer Säulenform. (Bilder: a/c: J. Hassler; e: U. Bühler; b/d: O. Holdenrieder)

 

Verzweigung und Kronenform

Die Fichte ist ein grosser, langlebiger, immergrüner Nadelbaum mit einem geraden, durchgehenden Stamm und einer meist spitzkegeligen Krone, die – im Unterschied zur Tanne (Abies alba) – auch im Alter ihre Form behält. Sie erreicht Höhen von 30-50 (max. 60) m mit bis 1,5 (−2) m Stammdurchmesser und wird maximal bis ca. 500 Jahre alt. Gelegentlich können sich auf dem Boden aufliegende Äste bewurzeln, zu eigenständigen Individuen heranwachsen und sogenannte «Fichtenfamilien» (genetisch einheitliche Klone) bilden, die immer weiter wachsen können. Im subalpinen Fichtenwald ist dies eine wichtige Überlebensstrategie (vgl. dazu den Beitrag von J. Hassler im «Bündner Wald» 1/21). Der älteste «Baum» Europas ist ein ca. 9500 Jahre alter Fichtenklon an der Baumgrenze in Nordschweden.

Der Gipfeltrieb ist bei der Fichte normalerweise die einzige stets aufrecht wachsende Achse, die Äste sind mehr oder weniger horizontal orientiert. Nach Verletzung des Gipfeltriebs richten sich jedoch die oberen Äste auf und es entstehen Zwiesel- oder mehrstämmige Kandelaberfichten. Auch bei schräg gestellten Stämmen können sich Seitenzweige an der Oberseite aufrichten und eine «Harfenfichte» bilden. Bei wiederholtem Verbiss junger Bäume entstehen halbkugelige strauchartige Formen («Geissentanneli», Abb. 1d).

Die diesjährigen Triebe sind in der Regel unverzweigt. Die neuen Triebe sind in der Knospe vorgebildet (gebundenes Wachstum, vgl. Abb. 2a). An jüngeren Bäumen kann bei günstiger Witterung die Spitzenknospe des neu gebildeten Triebes, nach einer kurzen Ruheperiode, bereits im Spätsommer austreiben und weiterwachsen (Johannistrieb, Prolepsis). Gelegentlich geschieht das auch ohne Ruhephase (Syllepsis). Da sich mehrere, direkt unterhalb der Gipfelknospe des Haupttriebes befindliche Seitenknospen im Folgejahr zu kräftigen Seitentrieben entwickeln und später zu Hauptästen werden, entsteht die vor allem für junge Bäume typische etagenartige Kronenarchitektur.

Abb.2: Verzweigung und Benadelung der Fichte. a: Längsschnitt durch die Gipfelknospe im Winter (im Zentrum ist der ­vorgebildete Trieb des Folgejahres erkennbar), b: Austrieb von schlafenden Knospen auf der Astoberseite (Proventiv­triebbildung), c: teilweise entnadelter Zweig mit Nadelstielchen, d: hängender Zweig in der Schattenkrone, ­e: Zweig in der Lichtkrone, f: Nadeloberfläche mit Stomata. (Bilder: b: G. Aas; alle weiteren: O. Holdenrieder)

 

Bei oberflächlicher Betrachtung sehen alle Fichten ähnlich aus. Doch «jede Ficht hat ein andres Gsicht» (Abb.1a–e). Als Grundtypen lassen sich im höheren Alter folgende Kronenformen unterscheiden: Die Plattenfichte mit horizontalen Ästen und Zweigen, die Kammfichte mit horizontalen Ästen und hängenden Zweigen, die Bürstenfichte mit kurzen, bürstenartig verzweigten Ästen. Zwischen diesen Typen gibt es jedoch Übergänge, sodass eine eindeutige Zuordnung nicht immer möglich ist. Kronen mit besonders schmaler und langer Krone (Spitz- oder Säulenfichten) kommen häufiger im Gebirge vor und werden meist als Anpassung an hohe Schneelasten bzw. Eisanhang interpretiert. Sie können dadurch entstehen, dass die Äste entweder stark verkürzt sind («Walzenfichte») oder herabhängen («Spindelfichte»). Bei der «Schlangenfichte» handelt es sich um eine sehr seltene Mutation, bei welcher die Seitenzweige (bei einzelnen Exemplaren auch die Äste) überwiegend an der Spitze wachsen, sich nur wenig verzweigen und herabhängen.

Die verschiedenen Kronenformen sind sehr wahrscheinlich genetisch bedingt, können aber durch Umwelteinflüsse, welche das Absterben von Trieben bzw. den Austrieb schlafender Knospen bewirken, im Lauf der Entwicklung des Baumes verändert werden. Solche Proventivknospen befinden sich bei der Fichte nur an den Oberseiten von dickeren Ästen. Sie ermöglichen dem Baum den Ersatz verlorener Kronenteile (Abb. 2b).

Auch das Erscheinungsbild des Fichtenstammes variiert deutlich: In der Jugend ist die Rindenoberfläche glatt und rotbraun, später bildet sich eine Borke, die sehr unterschiedlich strukturiert sein kann (z. B. «Schuppenfichte», «Lärchenfichte») und die im Alter auch eine «tannenähnliche» helle Farbe annehmen kann. Hellrindige Fichten haben oft auch eine hellgraue Wachsschicht auf den Nadeln («aviez selvadi – Wilde Weisstanne» im Unterschied zu «pign – Gewöhnliche Fichte»). Diese Form wurde in Graubünden als «Alpenfichte» (var. alpestris) beschrieben, geriet aber weitgehend in Vergessenheit. Bei der im Gebirge öfter vorkommenden «Zitzenfichte» sind die Astbasen stark verdickt (der Begriff wird aber auch für eine sehr seltene Form mit ausgeprägten Korkwarzen verwendet). Gelegentlich entwickeln sich im unteren Stammbereich auffällige Holzknollen («Maserknollen» oder «Kröpfe»), die für künstlerische Holzarbeiten sehr gesucht sind. Die Ursache dieser Stammdeformation bei der Fichte ist unbekannt.

Die Haselfichte ist eine Form mit besonders langfaserigem, elastischem und zähem Holz («Hagelholz»), das für den Instrumentenbau sehr gesucht ist. Sie kommt in Höhen ab 1000 m (selten ab 700 m) vor. Am stehenden Baum ist die Haselfichte schwer erkennbar (Hinweise geben können eine ungewöhnlich dicke, längsrissige Borke und Unterschiede in der Brüchigkeit der Zweige). Eindeutige Merkmale sind bis etwa 25 cm lange, 0,5–2 mm tiefe Rillen im Holz unter der Rinde, die sich auch kreuzen können («glismetes Holz») und die im Querschnitt wellig verlaufenden Jahrringe. Die Holzveränderung tritt erst ab einem Alter von ca. 35–40 Jahren auf und ihre Ausdehnung innerhalb des Stammes ist sehr variabel. Die Ursache für diese Anomalie ist unbekannt, neuerdings wird eine Pilz­infektion als Auslöser vermutet.

Zusätzlich zu den beschriebenen Varianten gibt es über 100 «gärtnerische» Sorten (Mutanten) von P. abies, die vegetativ vermehrt werden und im Wald keine Verwendung finden. Die Fichte ist eine morphologisch ausserordentlich variable Baumart.

 

Benadelung

Koniferennadeln sind ein Meisterstück der Evolution: Sie sind langlebig, klein und schwer verdaulich. Sie funktionieren das ganze Jahr über, sie welken nicht und ermöglichen der Pflanze das Überleben in trockener Luft. Eine ausgewachsene Fichte besitzt etwa 5–10 (maximal 50) Mio. Nadeln. Davon werden alljährlich mindestens 10 % ersetzt. Ungefähr 1500–3000 kg Nadeln fallen in einem Fichtenwald jedes Jahr pro Hektar zu Boden. Das sind bis zu über 40 000 Nadeln pro m². Fichtennadeln leben je nach Umweltbedingungen unterschiedlich lange (im Mittelland meist 6–7, im Gebirge bis maximal 20 Jahre). Die Nadelmasse kann je nach Umweltbedingungen stark schwanken, denn der Baum reagiert auf Stress mit Nadelverlusten. Er kann verlorene Nadeln aber gut ersetzen, wenn sich die Situation verbessert.

Abb. 3: Blüten der Fichte. a: Zweig mit Blüten, b: weibliche Blütenzäpfchen, c: männliche, noch geschlossene Blüten, d: voll entwickelte männliche Blüten. (Bilder: G. Aas)

 

Die 10–25 mm langen, meist glänzend dunkelgrünen (gelegentlich auch graugrünen) Nadeln (Abb. 2d–f) stehen einzeln und spiralig am Trieb, abhängig von der Belichtung orientieren sie sich aufrecht bis mehr oder weniger horizontal. Sie sitzen auf kleinen Stielchen, die nach dem Abfallen der Nadel am Trieb stehen bleiben (Abb. 2c). Dies ist ein Merkmal aller Fichtenarten (im Unterschied zu Tannen). Ein spezielles Trenngewebe zwischen Stielchen und Basis ermöglicht bei Bedarf (z. B. Wassermangel) ein rasches Abwerfen der Nadel. Fichtennadeln sind im Querschnitt mehr oder weniger rautenförmig und sehen auf allen Seiten gleich aus (äquifaziale Blätter). Wenn man die Nadeloberfläche mit der Lupe betrachtet, sieht man auf jeder Seite mehrere Reihen kleiner weisser Pünktchen (Abb. 2f). Das sind die Spaltöffnungen (Stomata). Sie haben im Zentrum zwei lippenförmige Zellen, mit denen ein winziges spaltförmiges Loch je nach Bedarf geöffnet oder verschlossen werden kann. Jede Spaltöffnung liegt am Grunde von einem kleinen Grübchen, das ca. 10–20 Tausendstel mm tief ist. Das Grübchen ist mit einem porösen Wachspropf verschlossen, der hell erscheint. Diese Wachspropfen funktionieren als Minischnorchel: Sie verhindern, dass sich auf der Nadeloberfläche ein geschlossener Wasserfilm bilden kann, welcher den Gasaustausch behindern würde. Es gibt bis zu etwa 1000 solche Spaltöffnungen pro Fichtennadel, ihre Fläche macht aber weniger als 1 % der Nadeloberfläche aus. Damit regelt der Baum seine Wasserverdunstung und die Aufnahme von Kohlendioxid.

 

Blüte und Samen

Die Fichte blüht im Freistand ab einem Alter von 20–40 Jahren, im Bestand jedoch erst ab ca. 50–60 Jahren. Die Geschlechter sind voneinander getrennt, befinden sich jedoch am gleichen Baum (Einhäusigkeit, Abb. 3a). Die kätzchenartigen männlichen Blüten sind anfangs eiförmig und rot, später zylindrisch und gelb (Abb. 3c–d). Sie entstehen in den Achseln von Nadeln an vorjährigen Trieben und sind über die ganze Krone verteilt. Die weiblichen, grünlichen bis purpurroten Blütenzäpfchen sitzen an den Zweigspitzen gehäuft im oberen Kronenbereich (Abb. 3 a–b). Sie stehen anfangs aufrecht, orientieren sich jedoch nach der Befruchtung nach unten und hängen dann herab, sodass die reifen Samen herausfallen können. Die Blüte erfolgt unregelmässig im Abstand von 2–4 Jahren. In grösseren Abständen (etwa alle 10 Jahre) kommt es zu einer Massenblüte, in Försterkreisen als Vollmast bezeichnet, die mit einem «Schwefelregen» (gelbe Pollenwolken) einhergeht. Der Fichtenpollen fliegt mehrere Kilometer weit. Er löst keine Allergie bei Menschen aus. Eine Selbstbefruchtung wird dadurch stark reduziert, dass weibliche und männliche Blüten am gleichen Baum meistens nacheinander blühen (Dichogamie). Zudem befinden sich die weiblichen Blütenstände überwiegend im oberen Kronenbereich, was die Wahrscheinlichkeit einer Fremdbestäubung erhöht. Die Zapfen wachsen im Lauf des Jahres zu einer Länge von bis zu 20 cm heran, sind während des Sommers grün oder – vor allem in Hochlagen – rot und verfärben sich im Herbst braun. Von aus­sen sind nur die Samenschuppen sichtbar (die Tragblätter oder Deckschuppen sind winzig klein). Die Form der Zapfenschuppen ist sehr variabel. Die Zapfen reifen von September bis November. Sie öffnen sich bei niedriger Luftfeuchte (unter 18 %) und überlassen die geflügelten Samen dem Wind. Dies ist meist im Spätwinter der Fall. Die (ohne Flügel) ca. 2–4 mm grossen Samen sind ausserordentlich resistent gegen Kälte und Austrocknung. Man kann sie bis ca. 30 Jahre lang lagern, ohne dass sie ihre Keimfähigkeit verlieren. Ein grosser Baum bildet in einem Mastjahr bis zu ca. 600 Zapfen (dies entspricht etwa 100 000 Samen).

Abb. 4: Wurzelsystem der Fichte. a: Wurzelanlauf eines alten Baumes mit zahlreichen Horizontalwurzeln, b: Stelzenfichte, c: Wurzelteller einer Fichte auf staunassem Standort, d: Adventivwurzelbildung aus dem Stamm nach Überschüttung. (Bilder: d: J. Hassler; a–c: O. Holdenrieder)

 

Wurzelsystem

Das Wurzelsystem der Fichte ist tellerförmig und sehr ausgedehnt und erreicht bei alten Bäumen meist einen Durchmesser von ca. 9–12 m (Abb. 4). Die Hauptwurzelmasse befindet sich in den oberen Bodenschichten bis ca. 1 m Tiefe. Auf staunassen, luftarmen oder kalten Böden reichen Wurzeln oft nur in bis zu ca. 50 cm Bodentiefe (Abb. 4c). Auf besser durchlüfteten und tiefgründiger durchwärmten Böden bilden sich an flachstreichenden, dickeren Seitenwurzeln vertikal bis über 2 m tief nach unten wachsende Senkerwurzeln, die sich weiter verzweigen. Nach Überschüttung können sich auch sprossbürtige Wurzeln aus dem Stamm bilden (Abb. 4d). Vor allem in Hochlagen wachsen Sämlinge oft auf Totholz (Moderholzverjüngung). Im Lauf der Jahre wird das Totholz abgebaut und der aus dem Sämling entstandene Baum steht dann auf Stelzwurzeln («Stelzenfichte», Abb. 4b).

 

Schlussbemerkung

Picea abies ist von allen (ca. 35) Fichtenarten die variabelste. Dies äussert sich nicht nur in der Gestalt, sondern auch im ökologischen Verhalten und ihrer genetischen Vielfalt. Die Gewöhnliche Fichte ist in der Zeit von ca. 6000–5000 Jahren v. Chr. von Osten nach Westen in die Schweiz eingewandert und hat sich im Lauf der Zeit an lokale Standortbedingungen genetisch angepasst. Dies gilt insbesondere für Populationen in Hochlagen. Die schmalkronigen Gebirgsfichten lassen sich heute mit neu entwickelten Genmarkern gut von den Tieflandformen unterscheiden. Inzwischen wurde das gesamte Genom mehrerer Fichtenarten entziffert und man dürfte in Zukunft einen wesentlich verfeinerten Einblick in die genetische Differenzierung von P. abies erhalten. Diese Befunde tragen zum Verständnis der biologischen Bedeutung der morphologischen Variation bei und sind wichtig für die Erhaltung der Fichte im Klimawandel, z. B. wenn es um die Entscheidung geht, ob man ihr bei der Anpassung an zukünftige Umweltbedingungen durch das Einbringen zusätzlicher Genvarianten helfen soll oder nicht.

 

Für wertvolle Hinweise, Abbildungen und Korrekturen danke ich Gregor Aas, Jürg Hassler, Reinhard Gschwind, Thomas Ludwig und Lioba Paul.

 

Literaturangaben sind beim Verfasser via E-Mail ottmar.holdenrieder@gmx.ch erhältlich.

 

Ottmar Holdenrieder leitete von 1990 bis 2016 die Professur für Forstschutz und Dendrologie an der ETH Zürich. Sein Forschungsschwerpunkt waren Baumkrankheiten und ihre Erreger. Heute geniesst er den Ruhestand und erfreut sich auch an gesunden Bäumen.

Holz ist meine Materie, die Kettensäge mein Werkzeug

Luzi Scherrer (47), gelernter Forstwart, arbeitet als Säger, Rundholzbauer, Bergführer und gut zwei Monate pro Jahr als Holzbildhauer. Mondholz ist ein Teil der verdienten Wertschätzung für einheimisches Holz, und er sieht sich keinesfalls als Koryphäe auf dem Gebiet, sondern einfach als ein Mensch mit grosser Achtung vor der Natur. Ein Augenschein in seiner Werkstätte in Trimmis. Aufgezeichnet von Susi Schildknecht

Auf die Frage, wie er seinen Beruf als Säger und die Passion als Holzbildhauer vereint, antwortet Luzi Scherrer: «Das geht nicht zusammen. Es ist zwar beides Handwerk, aber beim Sägen oder Bauen habe ich etwas Konkretes herzustellen. Meine Kunst sehe ich als Freiraum, da arbeite ich in der Regel nicht auf Auftrag, sondern freischaffend im eigentlichen Sinne des Wortes. Das braucht Zeit, Musse und Inspiration. Dafür nehme ich mir jährlich rund zwei Monate Zeit.» Wenn er eine Fichte zu Brettern sägt, gilt es im Sinne des Kunden, das Maximum aus dem Stamm herauszuholen. Da sind Vorstellungsvermögen und Konzentration gefragt, ganz besonders angesichts der einfachen Säge, mit der er im offenen Raum der Werkstätte in Trimmis arbeitet. Moderne Sägereien verfügen über einen Scanner, und diese bestimmen das optimale Vorgehen. Hier schmunzelt Luzi Scherrer: «Ich muss, oder besser gesagt darf bei meiner Arbeit noch selbst überlegen, das heisst, ich bin ganz im Hier und Jetzt. Da habe ich keine Kapazität für spirituelle Eingebungen oder Ideen für die Holzbildhauerei.»

Luzi Scherrer in Aktion. (Bild: Andrea Badrutt)

 

Anfang der 90er-Jahre interessierte sich der junge Forstwart kaum für Mondholz, obwohl das Thema in der Schule behandelt wurde. Nach einigen Anstellungen bei Unternehmern und ausgiebigen Reisen kehrte er zurück in die Heimat. Seine Aufenthalte in Alaska hatten ihn zum Blockbau mit Fichten inspiriert. Er begann, sich mit dem Thema Mondholz zu befassen: «Der Aspekt Mondholz ist sehr aufwendig, man muss sich wirklich einlassen wollen. Nur wer 100 % überzeugt ist, kann Mondholz entsprechend verkaufen.»

Im Alltag arbeitet Luzi Scherrer nicht nur mit Mondholz. Zurzeit (Januar 2024) sägt er Balken ein, welche für die in Chur entstehende Fachhochschule verwendet werden. Die Mengen, die dort benötigt werden, sind realistischerweise kaum als Mondholz beschaffbar. Die geschnittenen Balken lagert Luzi Scherrer bis im kommenden Herbst im Freien bei seiner Werkstatt, damit auch die Restfeuchtigkeit langsam abtrocknen kann. Der Föhn hilft da mit, das Resultat sind «lufttrockene Balken». Gegen Regen ist das Holz mit einem kleinen Dach geschützt, mehr brauche es nicht. Trocknen im Ofen erachtet er als sinnvoll, wenn das Holz «schreinertrocken» gebraucht wird, etwa für die Herstellung von Möbeln. Das lufttrockene Holz wird nochmals gemessen, bevor es abgeholt, je nach Verwendung in einem Ofen weiter getrocknet und schliesslich gehobelt wird. Dann ist das Holz bereit, verbaut zu werden.

Rundholzbau aus einheimischem Holz. (Bild: Luzi Scherrer)

 

Mondholz schafft Verbundenheit

Ein Teil des am Churer Grossprojekt verarbeiteten Holzes wird wohl Mondholz sein – ob bewusst zum richtigen Zeitpunkt geschlagen oder zufällig sei dahingestellt. Luzi Scherrer sieht einem Brett oder einem Balken an einem Bauwerk jedenfalls nicht an, ob es aus Mondholz besteht oder nicht. Was macht denn den Unterschied? Auf diese Frage hin kommt Luzi Scherrer ins Sinnieren: «Mondholz ist ein Teil eines grösseren Ganzen. Wenn ich einen Stamm während der Mondholzphase fälle, ist er quasi unbefleckt. Doch kann dem Stamm noch vieles widerfahren, bis sein Holz fertig verbaut ist. Da können etwa Holzfehler vorhanden sein, er kann Drehwuchs aufweisen oder nicht entrindet worden sein. Es sind verschiedene Faktoren mit im Spiel. Der Zeitpunkt des Fällens ist das eine, drei bis vier Tage vor dem Leermond sei ideal. Doch Achtung: Ich gebe nur weiter, was ich gelesen oder gehört habe.»

Gemütliches Ambiente. (Bild: Andrea Badrutt)

 

«Nach dem Fällen verdient der Stamm weiterhin maximale Zuwendung, indem man ihn zwei bis drei Monate im Winterwald liegen lässt, in abschüssigem Gelänge mit der Krone nach unten. Damit kann auch der letzte Saft noch durch die Äste austreten, der Baum macht quasi einen letzten Angstschub! Erst dann entastet man den Stamm und holt ihn aus dem Wald. Wenn eine mobile Entrindungsanlage zum Einsatz kommt, kann das Rindenmaterial vor Ort bleiben. In der Sägerei wird er im Idealfall eingeschnitten, bevor die Vegetation beginnt.»

Noch einmal kommt Luzi Scherrer auf die Zuneigung zurück, welche der Mondholzstamm geniesst. Er sei kein Esoteriker, aber trotzdem überzeugt: «Bäume wie Menschen bestehen zu einem grossen Teil aus Wasser und sind vom Kosmos beeinflusst. Ich bin sicher, dass Zuneigung das Fällen oder den Tod überdauert und als Energie dableibt, respektive sich einspeichert. Denken wir nur an ein gutes Möbelstück, welches über Generationen in der Familie weitergegeben wird. Niemand mag dieses weggeben, man hegt einen gewissen Respekt vor ihm. Genauso sehe ich das mit Mondholz, welches etwa in ein Haus verbaut werden soll. Es ist der Ursprung, und wir haben die Chance, hier eine positive Anfangsenergie einzubringen.» Für Luzi Scherrer ist es wichtig, einem Prozess wieder seinen Wert angedeihen zu lassen: «Das muss wieder gelehrt und gelernt werden! Da müssen wir alle daran arbeiten.» Die von ihm gefertigten Blockbauten sind etwa Maiensässe, manchmal Ferienhäuser, hin und wieder auch Einfamilienhäuser von Einheimischen. Eines haben alle Bauherrschaften gemeinsam: Die «Chemie» zwischen ihnen und Luzi Scherrer muss stimmen, Vorstellungen müssen übereinstimmen. Nur wenn die Wertschätzung fürs Echte und Charaktervolle im Holz und am Werk vorhanden ist, kommt es zur Zusammenarbeit. Wer bei Luzi Scherrer ein Blockhaus bestellt, kann auf Wunsch den ganzen Prozess miterleben. Also mit ihm im Wald die Stämme an ihrem Ursprungsort und später in der Weiterverarbeitung sehen. Das baue schon eine erste Verbundenheit auf, gegenüber dem Baum, gegenüber dem Blockbauer und überhaupt … die Geschichte beginnt also schon lange bevor das Holz verbaut wird.

Wie wohnt es sich denn im Blockhaus? Was braucht es für eine stimmige Isolation? Luzi Scherrer erklärt: «Der Wandaufbau wird ganz normal gestaltet, wobei die Fichtenstämme im Durchschnitt etwa 40 Zentimeter Durchmesser aufweisen. Dort, wo die Stämme aufeinandertreffen – also an der isolationstechnisch schwächsten Stelle – wird ein Hohlkörper mit gewaschener und kardierter Schafwolle isoliert. Früher wurde dazu meist Moos verwendet, die Schafwolle war ein wertvoller Rohstoff und wurde grösstenteils anderweitig benötigt. Heute sind Naturprodukte wie eben Schafwolle wieder im Aufwärtstrend, wohl im Zuge einer derzeitigen grünen «Welle».

Zurück zum Thema Mondholz, Respekt vor der Natur und Ehrlichkeit: Für Luzi Scherrer gehört zwingend dazu, dass Bauherren auch im Innenausbau da und dort Äste zulassen, ein paar Fugen tolerieren oder eine natürliche Verfärbung akzeptieren: «Holz muss so verwendet werden können, wie es eben ist: natürlich! Das macht es aus, und nur so wirkt man der weitverbreiteten Eintönigkeit entgegen!» Nebst dem Fälltermin sei für ihn auch der Umgang mit dem Holz bis zum fertigen Verbau wichtig. Da diese dank Mondholz aufgebaute Verbundenheit zum bestellten Bauwerk einen Mehrwert darstellt, hat sie auch einen Mehrpreis. Dieser ist zum grössten Teil im höheren Aufwand und im Abwarten des richtigen Zeitpunkts und somit in klar geringerer Effizienz begründet. Ob das fertiggestellte Bauwerk aus Mondholz dereinst länger besteht als aus «normalem» Holz, diese Frage kann oder will Luzi Scherrer nicht beantworten, dafür lebe er nicht lange genug. Schliesslich weiss man, dass ein Block- oder Strickbau aus einheimischem Holz 300 bis 400 Jahre lang hält. Er empfiehlt die Bücher des renommierten österreichischen Mondholzforschers Dr. Erwin Thoma, welcher auch auf eine Mondholz-Studie des ETH-Forschers Prof. Dr. Ernst Zürcher eingeht. www.rundholzer.ch

 

Kunst aus Holz

Luzi Scherrer ist viel gereist, so auch nach Hawaii, wo er vor über 20 Jahren für seine Kunst inspiriert wurde. Schon als junger Forstwart war er fasziniert davon, was sich mit der Kettensäge machen lässt. Und immer schon wollte er kreativ sein: «Kunstschaffen gibt mir eine Auszeit, dann habe ich Zeit, mich zu langweilen. Meine Kreativität entsteht aus dem Tun, zu viel Überlegen ist da eher hinderlich. Nach zwei oder drei Monaten konzentrierten Sägens muss ich mich umstellen und den für die Kunst notwendigen meditativen Zustand zuerst wieder suchen und finden.»

«Eine Idee arbeitet sich durchs Holz und gewinnt Form.» (Bilder: Andrea Badrutt)

 

Wenn er etwas Figürliches erschaffen will, hat er meist eine Vorstellung vom gewünschten Resultat. Dies können kleine und grössere Skulpturen sein, meist Köpfe oder Menschen aus Fichtenholz, alle mit der Motorsäge herausgearbeitet. Gewisse Arbeiten mit Formen jedoch gibt ein Baum ihm auch vor. Und manchmal ist es auch nur ein ganz spezieller Punkt im Holz, der ihn fasziniert. Und dann macht er daraus etwas. «Eine Idee arbeitet sich durchs Holz und gewinnt Form.» Diesen und andere Gedanken führt der Holzbildhauer auf seiner Website auf. Zurzeit bereitet Luzi Scherrer eine Ausstellung vor. Seine Werke werden zusammen mit Arbeiten des befreundeten Holzbildhauers Gubert Georg Luck im Herbst 2024 in zwei Galerie-Räumen über seiner Werkstätte in Trimmis zu sehen und zu kaufen sein. www.luzischerrer.ch

 

 

 

Mykorrhizapilze – die unterirdischen Verbündeten der Fichte

Wie alle Bäume unserer Wälder bildet die Fichte eine Lebensgemeinschaft mit einer Vielzahl von unterirdischen Helfern, den Mykorrhizapilzen. Mehr als 50 verschiedene Mykorrhizapilzarten kommen in reinen Fichtenbeständen vor mit vielfältigen Funktionen in der Wasser- und Nährstoff­versorgung ihrer Baumpartnerin, die ihnen dafür Zucker als Energiequelle liefert. Hohe Stickstoffeinträge und Trockenheit reduzieren diese Vielfalt, was die Gefahr einer verminderten Stresstoleranz der Fichte birgt. Dr. Martina Peter / Dr. Karin Pritsch

Die Fichte und ihre Mykorrhizapilzpartner

Wen freut es nicht, beim Spaziergang durch den herbstlichen Fichtenwald auf einen Steinpilz oder farbenprächtigen Fliegenpilz zu stossen! Dabei sind die Fruchtkörper nur ein kleiner, für uns sichtbarer Teil der Pilze. Die feinen Pilzfäden bilden Myzelien im Boden und erschliessen Nährstoffe mit Hilfe von Enzymen. Einige Waldpilze sind Mykorrhizapilze, die eine Symbiose mit Baumwurzeln eingehen. Die Fichte bildet die sogenannte Ektomykorrhiza-Symbiose mit Schlauch- und Ständerpilzen aus, die dem Baum Nährstoffe im Austausch für Zucker aus der Photosynthese liefern (Abb. 1).

Abb. 1. Feinwurzeln einer jungen Fichte besiedelt mit dem Dunkelscheibigen Fälbling (Hebeloma mesophaeum). Der Mykorrhizapilz erhält Zucker aus der Photosynthese im Austausch für Nährstoffe und Wasser, die er mit seinen feinen, gelb-weisslichen Hyphen aus dem Boden aufnimmt und via die mykorrhizierten Feinwurzeln der Fichte abgibt. (Bild: S. Egli, WSL)

 

Dabei umhüllen die Pilze jede einzelne der feinsten Wurzelspitzen mit einem dichten Hyphengeflecht und wachsen zwischen den Rindenzellen, wo der Stoffaustausch stattfindet. Die feinen Hyphen vergrössern die Wurzeloberfläche und verbessern die Nährstoffversorgung ihrer Baumpartner markant. Mykorrhizapilze stellen demnach die Schnittstelle für die Nährstoffaufnahme zwischen Baum und Boden dar und sind gleichzeitig wichtig als Kohlenstoffspeicher im Boden. Etwa 20 % des durch Photosynthese gewonnenen Kohlenstoffes gelangt in Form von Zucker über die Wurzeln in die Pilze. Dies ermöglicht es den Pilzen, sich im Boden zu vernetzen, neue Wurzeln zu besiedeln und Fruchtkörper zu bilden, die der Verbreitung über Sporen und der genetischen Anpassung dienen. Die Vielfalt der Mykorrhizapilze im Fichtenwald ist oft gross mit über 50 Pilzarten an den Wurzeln eines einzelnen Baumes. Die Mykorrhizapilzgemeinschaft an den Wurzeln besteht meist aus wenigen dominanten und vielen selteneren Arten. Unter den häufigen Pilzarten finden sich oft solche mit unscheinbaren Fruchtkörpern wie zum Beispiel der Fransige Wollrindenpilz (Amphinema byssoides), dessen Fruchtkörper resupinate «Myzelmatten» auf Holzstücken formen, oder Cenococcum geophilum, der keine Fruchtkörper, sondern kleine, widerstandsfähige Sklerotien im Boden bildet (Abb. 2).

Abb. 2. Zwei verbreitete Mykorrhizapilzarten an den Wurzeln von Fichten. Sie bleiben oberirdisch oft unentdeckt, weil sie nur unscheinbare (z. B. der Fransige Wollrindenpilz, Amphinema byssoides, oben) oder keine oberirdischen Fruchtkörper, dafür unterirdische Dauerorgane (Cenococcum geophilum, unten) ausbilden (Massstab 1 mm). (Bilder: WSL; A. byssoides Fruchtkörper J. Gilgen)

 

Erst molekulare Untersuchungen zeigten die Wichtigkeit dieser Pilze in Fichtenwäldern der Schweiz und ganz ­Europa (Peter et al. 2001b, van der Linde et al. 2018, Jörgensen et al. 2024). Bei den Grosspilzen sind die Schleierlinge (Cortinarius) und Täublinge (Russula) die artenreichsten und häufigsten Gattungen in unseren Fichtenwäldern. Die Zusammensetzung ist räumlich und zeitlich dynamisch und passt sich den gegebenen Umweltbedingungen an. Eine hohe Vielfalt dieser Pilze gewährleistet eine optimale Ausschöpfung der Bodenressourcen und Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen und Störungen, da sich Mykorrhizapilzarten in ihren Funktionen ergänzen (Peter et al. 2013).

 

Stickstoffdeposition reduziert die Vielfalt der Mykorrhizapilze in Fichtenwäldern

Studien haben gezeigt, dass sich ein erhöhter Stickstoff (N)-Eintrag aus Industrie, Landwirtschaft und Verkehr insbesondere in Nadelwäldern negativ auf die Vielfalt der Mykorrhizapilze auswirkt (Taylor et al. 2000, Peter et al. 2001a, van der Linde et al. 2018, Jörgensen et al. 2024). Wälder filtern N-Verbindungen effizient aus der Luft (Piot 2023), was zu einer Überdüngung und Versauerung des Bodens führt. In einem Langzeitdüngungsexperiment in einem subalpinen Fichtenbestand nahm die Fruchtkörperproduktion der Mykorrhizapilze bereits nach einem halben Jahr N-Düngung drastisch ab und erholte sich auch nach Jahren nicht (Peter et al. 2001a, Gillet et al. 2010). Dies wird damit begründet, dass Bäume bei Eintrag von mineralischem N weniger Kohlenstoff in ihr Netzwerk aus Wurzeln und Mykorrhizapilzen investieren, worunter die Pilzfruchtkörperproduktion als Erstes leidet. Im Laufe der Zeit verändert sich die Mykorrhizapilzgemeinschaft, wobei insbesondere auf Nadelbäume spezialisierte Pilze, die oft auch auf die Aufnahme von N aus organischen Quellen spezialisiert sind, stark reduziert wurden (van der Linde et al. 2018, Jörgensen et al. 2024). Unsere Studien zeigten, dass ein erhöhter N-Eintrag den Mykorrhizierungsgrad der Fichtenwurzeln nicht beeinflusst, aber die Zusammensetzung der Gemeinschaft verändert und die Vielfalt der Mykorrhizapilze reduziert (Abb. 3).

Abb. 3: Zusammensetzung und Aktivität der Mykorrhizapilze an Fichtenwurzeln eines 50-jährigen, subalpinen Fichtenbestandes mit und ohne Stickstoffdüngung (150kg N/ha/a) über zehn Jahre. Besser angepasste Mykorrhizapilze übernehmen die unterschiedlichen Funktionen der häufigsten zwei Pilzarten in den Kontrollflächen. Aktivität von acht am Abbau organischer Stoffe beteiligten Enzymen, die der Nährstoffversorgung der Fichte dienen. Xyl = Xylosidase, Glr = Glucuronidase, Nag = Chitinase, Cel = Cellobiohydrolase, Gls = Glukosidase, Pho = Phosphatase, Leu= Leucinaminopeptidase, Lac = Laccase. Die Werte bezeichnen Aktivitäten in log10 pmol/min/mm. (Quelle: Eigene Daten, nicht veröffentlicht)

 

Trotz der stark veränderten Mykorrhizapilzgemeinschaften nach N-Düngung blieben deren Funktionen qualitativ konstant. Dabei wurden Funktionen wie die Aktivität von Enzymen, die an der Freisetzung von Nährstoffen beteiligt sind (Abb. 3), von besser angepassten, nitrophilen Arten wie dem Pustel-Schneckling (Hygrophorus pustulatus) und dem Schwammigen Filzgewebe (Pseudotomentella mucidula) übernommen. Bei hohem N-Eintrag investierten die Bäume weniger Kohlenstoff in die Wurzeln, wodurch sowohl das Feinwurzel- als auch das Myzelwachstum längerfristig reduziert wurden. Diesen Verlust konnten auch die besser angepassten Pilze nicht ausgleichen, was zu einem Nährstoffungleichgewicht in den Bäumen führte (Hutter 2014, van der Linde et al. 2018, Jörgensen et al. 2024). Ebenso birgt die Reduktion der Pilzartenvielfalt die Gefahr, dass das Ökosystem gegenüber zusätzlichen Belastungen wie Trockenheit anfälliger wird, da der Artenpool möglicherweise keine Anpassung mehr erlaubt.

 

Wiederholte Sommerdürren reduzieren die Diversität der Mykorrhizapilze an Fichten stärker als an Buchen

Auch der Klimawandel mit wiederholten, lang anhaltenden Trockenperioden bedroht insbesondere die an kühle und feuchte Standorte angepasste Fichte. Um herauszufinden, wie die Fichte auf Böden mit hoher Wasserspeicherkapazität auf häufige Sommertrockenheit reagiert, wurde im Kranzberger Forst bei München ein Experiment an ausgewachsenen Bäumen in Rein- und Mischbeständen mit Buche durchgeführt (Abb. 4). Dafür wurden auf sechs von zwölf Versuchsflächen Dächer installiert, die fünf aufeinander folgende Sommer lang etwa 70 % des jährlichen Niederschlags ausschlossen. Danach wurden die Böden wieder bewässert, um zu sehen, wie schnell die Bäume reagieren und sich erholen können. Beide Baumarten konnten sich überraschend gut an extreme Trockenheit anpassen, sofern Borkenkäferbefall ausgeschlossen wurde. Die Fichte reduzierte ihr Wachstum ober- und unterirdisch stärker als die Buche und erholte sich auch nach der Wiederbewässerung weniger schnell (Motte et al. 2023). Die Abnahme der Feinwurzeln und die Veränderung der Mykorrhizapilzgemeinschaften waren bei der Fichte stärker als bei der Buche (Nickel et al. 2018). Trockenheitsresistentere Arten wie Cenococcum geophilum (Abb. 2) oder der Ockertäubling (Russula ochroleuca) traten vermehrt auf. Ähnlich wie unter N-Einträgen blieben die Funktionen (Enzymaktivitäten) unter Trockenheit qualitativ erhalten oder nahmen pro Mykorrhizaspitze sogar zu, konnten aber die quantitativen Verluste auf der Ebene des Ökosystems (Feinwurzeln pro m²) nicht ausgleichen. Interessanterweise hatte die Mischung der Baumarten einen positiven Effekt auf die Pilzdiversität beider Baumarten, möglicherweise da Nischen komplementär genutzt wurden. Dieser grössere Artenpool kann gerade in einer Erholungsphase sehr wichtig sein, um neu auswachsende Feinwurzeln optimal zu besiedeln. So investierten beide Baumarten nach der Wiederbewässerung sofort in die Feinwurzelproduktion und ihre verbündeten Pilze.

 

Fazit

Eine hohe Vielfalt an Mykorrhizapilzen sichert die optimale Ausnutzung der Ressourcen unter wechselnden Bedingungen. Ist diese reduziert, so leidet die Widerstandsfähigkeit der Fichte. Eine Reduktion der Stickstoffemissionen und die Förderung von Baumartenmischungen sind deshalb wichtige Massnahmen zur Unterstützung der Fichte und ihrer Mykorrhizapilze.

Abb. 4: Trockenstress-Experiment an ausgewachsenen Fichten und Buchen im Kranzberger Forst bei München. Die Dächer reduzierten über 5 Jahre (2014–2018) die jährliche Niederschlagsmenge um 70 %. Die Mykorrhizagemeinschaft der Fichte reagierte empfindlicher als jene der Buche, mit einer stark reduzierten Diversität nach zwei Jahren Trockenstress (rote Kurve) im Vergleich zur natürlich beregneten Kontrolle (blaue Kurve). Der Effekt ist im dritten Jahr weniger ausgeprägt an Fichten- und Buchenwurzeln, deren Wurzelraum überlappt (mix). Die Werte zeigen den Shannon-Diversitätsindex (Mittelwert ­± Standardfehler von 6 Replikatsflächen) der Mykorrhizapilze an den Wurzeln im Oberboden. (Quelle: U. Nickel, 2018, Global Change Biology, modifiziert. Bild: K. Pritsch, HZM)

 

Dr. Martina Peter ist Leiterin der Gruppe Ökologische Genetik an der Eidg. Forschungsanstalt WSL und erforscht verschiedene Aspekte der Mykorrhizasymbiose im Wald.

Dr. Karin Pritsch vom Helmholtz Zentrum München erforscht die Auswirkungen von Umweltstress auf Waldbäume und die mit ihnen vergesellschafteten Pilze.

 

Literaturverzeichnis auf www.buendnerwald.ch

 

 

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