Ausgangslage und Zustand
In den Jahren 2001 und 2002 wurde im Auftrag des damaligen Amts für Wald Graubünden von Maurizio Veneziani (dipl. Forsting. ETH) das Konzept zur Erhaltung und Pflege naturkundlich und landschaftlich wertvoller Eichenwälder im Gebiet Domleschg-Heinzenberg erarbeitet. Einleitend heisst es darin: Das Gebiet Domleschg/Heinzenberg weist besondere Klima-, Boden- und Vegetationsverhältnisse auf. Diese und die verschiedenen Nutzungsformen der letzten Jahrhunderte haben zur Entstehung einer strukturreichen Landschaft geführt, die von einer reichhaltigen Biodiversität charakterisiert ist. Ein Aspekt dieser Biodiversität ist der Reichtum an Traubeneichen, die im Gebiet bestandes- und gruppenweise, wie auch als Einzelbäume vorkommen. Natürliche Traubeneichenwälder sind in der Schweiz ziemlich selten. Die heutige Verbreitung der Traubeneiche ist stark kulturlandschaftlich geprägt. Bei nachlassender Pflege und Nutzung würde die Traubeneiche rasch an Areal einbüssen oder teilweise sogar ganz verschwinden.
Die Situation hat sich gegenüber 2001/2002 insofern verändert, als dass aufgrund des «Eichenkonzepts» und insbesondere entsprechend den Zielsetzungen der Waldentwicklungsplanung und Projektvorschriften Biodiversität verschiedene Massnahmen zur Erhaltung und Förderung der Eichenvorkommen umgesetzt werden konnten.
Im Domleschg/Heinzenberg wurden rund 60 flächige Eichenvorkommen und Waldränder mit hohem Eichenanteil mit einer Gesamtfläche von ca. 85 ha beschrieben und kartografisch festgehalten (vergleiche Abbildung 1: Eichenvorkommen Domleschg). Im ganzen Gebiet kommt praktisch ausschliesslich die Traubeneiche (Quercus petraea) vor. Sie kann reine Bestände auf trockenen und flachgründigen Böden der kollinen bis submontanen Stufe bilden. Im Domleschg kann sie durch den Föhneinfluss auch höhere Stufen erreichen. Man geht davon aus, dass Pionierstadien der Gamander-Traubeneichenwaldgesellschaft häufig mit Föhren bestockt sind. Heute ist im Gebiet Domleschg/Heinzenberg eine Verbreitung der Eiche augenfällig. Die Föhrenbestände in der Talebene des Domleschg sind, wo die Lichtverhältnisse es zulassen, durchwachsen mit Eichennaturverjüngung, ebenso wie die trockenen bis frischen höheren Lagen des Domleschgs und des Heinzenbergs bis rund 1000 m ü. M. (Tendenz steigend). Forstlich ist grundsätzlich genügend Licht zu schaffen.
Allgemeine Ziele und Massnahmen
In Anlehnung an die übergeordneten Zielsetzungen und das damalige Eichenkonzept verfolgen wir damals wie heute folgende Ziele:
- vorhandene Eichenbestockungen als seltene, kulturhistorische, landschaftsprägende Elemente und Lebensraum für eine grösstmögliche Anzahl von Pflanzen- und Tierarten (insbesondere für seltene und gefährdete Tier- und Pflanzenarten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet) in ihrer Flächenausdehnung erhalten und erweitern, qualitativ aufwerten und zur vollen Entfaltung ihres Naturwerts flächig verteilen und vernetzen.
- Betreffend Massnahmen heisst das konkret:
- offener Waldcharakter mit einer artenreichen Krautschicht schaffen und erhalten
- Entbuschen (insbesondere Hasel)
- einwachsende Nadelbäume entfernen
- Totholz schaffen (stehen und liegend);
- alte Eichen erhalten
- Habitatbäume oder Spechtbäume stehen lassen
- wo zusätzlich andere seltene beziehungsweise besondere Gehölze vorkommen, diese an ihren angestammten Standorten sichern, insbesondere hinsichtlich Klimawandel (Samenbäume erhalten)
- neue Eichenbestockungen begründen
- Verjüngung und Bestandesbegründung grundsätzlich mittels Naturverjüngung (Eichenmast ausnutzen), sonst autochthon verjüngen mittels Wildlingen und/oder entsprechende Provenienzen aus dem kantonalen Forstgarten
- Wildschutzmassnahmen
Besonderes
2010 wurde im Gebiet Spunda Beala (Vergleich unten) eine Dauerbeobachtungsfläche des Instituts für Angewandte Pflanzensoziologie (IAP) eingerichtet und mittels einer Vereinbarung rechtlich gesichert. Die Dauerbeobachtungsflächen dienen der Erhebung wissenschaftlich fundierter Fachkenntnisse bezüglich der Zusammenhänge zwischen Waldgesundheit und Umweltbelastung. Die Datenreihen geben Hinweise über die Entwicklung des Waldzustands und bieten wichtige Grundlagen für forstliche Massnahmen und umweltpolitische Entscheide.
Umsetzungsbeispiele
In der Folge sind hier zwei Beispiele konkreter Massnahmen im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung, Pflege und Begründung von Eichenbeständen im Domleschg beschrieben.
1. Eichenprojekt Spunda Beala 2009–2013
Ausgangslage
Am Südhang unterhalb der Ortschaft Scheid an der Spunda Beala stockt ein reiner Edelgamander-Traubeneichenwald (40*). Das Besondere an dieser Fläche ist ihre Höhenlage (1000 bis 1100 m ü. M.) und ihre Flächenausdehnung (6 ha). Damit handelt es sich um einen der höchstgelegenen, reinen Traubeneichenbestände der Schweiz. Das vorwiegend starke Baumholz ist nicht natürlich entstanden, sondern das Produkt einer jahrhundertealten Nutzung durch den Menschen.
So konnten sich diese Bestände über Jahrzehnte erhalten, bis Mitte des letzten Jahrhunderts die Nutzung durch die Landwirtschaft extensiviert wurde. Als Folge davon machte sich in den lichten Eichenbeständen eine üppige Strauchschicht breit, dominiert von der Hasel. Dadurch verschlechterten sich die Ansamungs- und Verjüngungsbedingungen der lichtbedürftigen Eichen massgeblich. Und ohne gezielte Massnahmen würden sich letztlich die Nadelhölzer das Areal zurückerobern.
Ziel/Wirkung
Ziel des Eingriffs ist es, den Eichenbestand als Landschaftselement und Lebensraum mit einer ausserordentlich hohen Lebensraumqualität und vielen ökologischen Nischen langfristig zu erhalten. Die gemeinsam festgelegten waldbaulichen Ziele und Massnahmen wurden im Rahmen der Anzeichnung durch den Regionalforstingenieur und den Revierförster umgesetzt und sichergestellt. Als Wirkungsgrösse wurde ein Bestand angestrebt, der zu 95 Prozent aus Eichen besteht, einen Deckungsgrad von maximal 75 Prozent aufweist und eine Kronenlänge der Stabilitätsträger von mindestens ½ aufweist.
Massnahmen/Umsetzung
- Erhaltung naturschützerisch wertvoller alter, grosskroniger Eichen mit Baumhöhlen, Totholz oder Eichenstöcke erhalten
- lichte bis lückige, strauchschichtarme Strukturen schaffen
- Verjüngungsgruppen mit Schutzmassnahmen begründen
- Begehungswege zur besseren Erreichbarkeit der Pflegeflächen erstellen
- Aufgrund der topografischen Gegebenheiten erschien eine Nutzung des Eichenbestands mittels Seilkran als nicht sinnvoll. Der untere Teil des Bestands konnte mittels Bodenzug an die Abfuhrstrasse gerückt werden. Im oberen Bereich des Schlags wurde ein Teil des Holzes mit dem Zappin vorgerückt und der andere Teil als Totholz im Bestand liegen gelassen. So konnte auch den Interessen vieler auf Totholz angewiesener Insekten (Hirschkäfer) Rechnung getragen werden. Die umfangreichen Arbeiten wurden in Regie durch eine einheimische Forstunternehmung ausgeführt.
Entbuschen/Freihalten von Blössen
Ein zentrales Anliegen der waldbaulichen Zielsetzung war die Entfernung der Strauchschicht, die sich zum grössten Teil aus Haseln zusammensetzte. Besonders «schöne» Haselexemplare wurden als sogenannte Bienenweide geschont. Ebenfalls geschont wurde ein grosser Teil der ökologisch wertvollen Dornensträucher (Vogelbrut).
Wildschutzmassnahmen
Damit das angestrebte Ziel, die Schaffung von einigen Eichenverjüngungsgruppen erreicht werden konnte, mussten 477 lm Wildschutzzäune erstellt werden. Die Pfosten für diese Zäune konnten vor Ort aus den vorhandenen Eichen hergestellt werden, was die Kosten etwas reduzierte.
Pflanzung
Ein Muss ist das Einbringen von autochthonem Pflanzmaterial. Zu diesem Zweck wurden junge Eichen aus einem nahe gelegenen Wildschutzzaun ausgegraben und als Wildlinge in die neuen Verjüngungsflächen eingepflanzt. An einigen Stellen wurden als Alternative zur Pflanzung vor Ort gesammelte Eicheln gesteckt. Diese Massnahme erwies sich aber nur als bedingt effizient, da viele der Eicheln im Winter von Nagetieren als Nahrung genutzt wurden und somit nur ein sehr bescheidener Teil keimen konnte.
Begehungswege
Mit der Erstellung von Begehungswegen kann die Fläche für zukünftig nötige Unterhalts- und Pflegemassnahmen besser erreicht werden.
Ringeln
Die in einem Teil der Fläche reichlich vorkommenden Pappeln wurden «geringelt». So konnte eine starke Verbreitung durch Wurzelbrut verhindert werden.
2. Umwandlungsprojekt Summa Crappa 2011
Ausgangslage
Die Fläche Summa Crappa grenzt südwestlich unmittelbar an den Eichenbestand Spunda Beala an. Darauf stockte ein dichter, reiner Föhrenbestand von qualitativ schlechtem, schwachem bis mittleren Baumholz. Er liegt auf knapp 1000 m ü. M. und hat eine Ausdehnung von 0,75 ha. Nördlich an diese Fläche grenzt ein offener Trockenrasen mit selten vorkommenden Pflanzenarten wie der Fiederzwenke oder dem Blasenstrauch und Arten, die in der Regel im Mittelmeerraum heimisch sind wie der Französische Tragant oder der Schmetterlingshaft (Insekt).
Ziel/Wirkung
Umwandlung des Föhrenbestands in einen standortgerechten Laubmischwald mit Fokus auf die Traubeneiche. Bestandesbegründung und Entwicklung hin zu einem reinen Edelgamander-Traubeneichenwald nach dem Beispiel der Fläche Spunda Beala. Langfristige Sicherstellung von beigemischten Samenbäumen verschiedener standortgerechter Laubholzarten (zum Beispiel Mehlbeere).
Massnahmen/Umsetzung
- Föhrenbestand abräumen
- Schlagfläche räumen
- Erstellen eines Wildschutzzauns um die ganze Fläche
- Bestandesbegründung Traubeneichenbestand durch Naturverjüngung
- Ergänzungspflanzungen autochthoner Traubeneichen und Speierlinge
Holzernte/Schlagräumung
Der Föhrenbestand wurde über die ganze Fläche im Vollbaumverfahren genutzt, zum Lagerplatz gerückt und an grosse Haufen geschichtet. Die wenigen stabilen Laubhölzer (Birke, Eiche, Mehlbeere) die sich da und dort zeigten, wurden geschont. Mit Grosshackmaschinen wurde das Material gehackt und nach Domat/Ems in die Axpo Tegra geführt. Ein grosser Teil der Räumung konnte maschinell erfolgen.
Wildschutzmassnahmen
Aufgrund des hohen Wildeinflusses wurde um die ganze Fläche ein Wildschutzzaun errichtet. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich das Laubholz auch tatsächlich etablieren kann. Der heute sichtbare Erfolg gibt uns recht.
Bestandesbegründung/Pflanzung
Aufgrund der langjährigen Beobachtungen der Naturverjüngung und Verbreitung der Traubeneiche im Domleschg wurde bewusst auf die zu erwartende Naturverjüngung gesetzt und auf die Bepflanzung der gesamten Fläche verzichtet. Die angestrebte Umwandlung des Bestands hätte eine Auspflanzung der gesamten Fläche auch nicht rechtfertigen lassen. Es wurden lediglich auf circa einem Viertel der Fläche autochthone, aus dem Nachbarzaun ausgegrabene Eichen als Ergänzung gepflanzt. Als Spezialität wurden noch sechs durch eine Privatperson gezogene Speierlinge im Topf eingebracht. Der Speierling ist eine empfindliche und darum sehr seltene licht- und wärmebedürftige Baumart.
Probleme und Herausforderungen
Bezüglich der Erhaltung und Förderung der Eichenvorkommen im Domleschg stehen wir folgenden Herausforderungen gegenüber:
Naturverjüngung/Wald-Wild
Der Wildeinfluss auf die Waldverjüngung im Domleschg ist derzeit so hoch, dass selbst verbissunempfindliche Baumarten wie Fichte oder Birke darunter leiden. So leidet auch die Eiche unter dieser äusserst unbefriedigenden Situation. Ausserhalb der Wildschutzzäune ist eine flächige Verjüngung der Eiche nicht möglich und ohne eine deutliche Entschärfung der Situation langfristig nicht sichergestellt. Hinzu kommt die Verbuschung durch den Adlerfarn, wenn sich nicht in nützlicher Frist die Verjüngung einstellt. Die Verbreitung der Eiche wäre dagegen insbesondere durch den Eichelhäher kein Problem.
Nassschneefälle/Schneedruck
Da die Eiche generell und insbesondere deren Jungwuchs sein Laub sehr spät im Herbst oder gar nicht verliert, ist sie besonders anfällig bezüglich Nassschneefällen und den damit einhergehenden Schneedruckschäden. Im Zusammenhang mit den Effekten des Klimawandels werden die Ereignisse vermutlich zunehmen und tendenziell auch in höheren Lagen stattfinden. Um flächige Schäden zu minimieren, muss jeweils gehandelt werden, indem an neuralgischen Punkten Entlastungsaktionen durch Schütteln der Baumkronen organisiert werden. Da die jungen Eichen sehr flexible Stämme haben, können aber auch noch «Aufbindeaktionen» nach den Schneefällen nützlich sein.
Nachhaltige Pflege der Eichenflächen
Eichenförderungsmassnahmen sind, wenn sie Wirkung zeigen sollen, zeit- und kostenintensiv. Massnahmen zur Offenhaltung von lichten Beständen umfassen in der Regel Eingriffe in den Altbestand und in die verjüngungshemmende Strauchschicht. Da diese Baum- und Straucharten nach dem Rückschnitt meist starke Stockausschläge bilden, ist es äusserst wichtig, solche Flächen in regelmässigen, möglichst kurzen Abständen zu pflegen. Auf dem Holzmarkt erzielen unsere Eichen aufgrund der mangelnden Qualität derzeit zudem nur bescheidene Holzerlöse. Damit die Waldbesitzer weiterhin solche Massnahmen umsetzen können, werden weiterhin Fördermittel der öffentlichen Hand oder anderweitige Unterstützungsgelder nötig sein, und zwar nicht nur für den Ersteingriff, sondern insbesondere für die sogenannte Nachpflege als Verantwortung der Bewirtschafter gegenüber den «Investoren».
Auch die Eigentumsverhältnisse machen es nicht immer leicht, die Flächen zu pflegen, geschweige denn die Pflege nachhaltig sicherzustellen. Solange insbesondere dem Privatwaldbesitzer keine Kosten entstehen, ist er bereit, die Fläche pflegen zu lassen(!). Diesbezüglich ist aber auch das entsprechende Bewusstsein für den Naturwert der Eichenvorkommen beim Waldeigentümer und der Bevölkerung zu schaffen. Das schafft nicht nur ökologischen, sondern auch ökonomischen Goodwill.
Zukunftsaussichten
Sich verändernde gesellschaftliche Ansprüche, das nächste Virus und der Klimawandel werden die Forstwirtschaft und die «Waldbauer» vor grosse Herausforderungen stellen. Mit der Eiche haben wir im Domleschg glücklicherweise eine einheimische Baumart, die sich sehr gut an die zu erwartenden klimatischen Verhältnisse anpassen könnte, wenn wir sie lassen. Wir wünschen uns, dass die nachfolgenden Verantwortlichen auf allen Stufen die Weichen so stellen, damit unsere Eiche die Chance erhält, zu zeigen, welch vielfältigen Nutzen sie uns Menschen zukommen lassen kann. Es stimmt: «Man muss die Eiche wollen!» Und sie braucht «Zuneigung» und Pflege, damit sie ihren Konkurrenten, Schädlingen und Erwartungen standhalten kann.
Seit 18 Jahren ist Lukas Kobler beim Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden für den Wald im Domleschg zuständig und leitet seit 2014 die Forstregion Mittelbünden. Karl Ziegler ist Revierförster und leitet seit 31 Jahren das Revierforstamt Ausserdomleschg.
Quellenangaben
1. Maurizio Veneziani (dipl. Forsting. ETH); Konzept zur Erhaltung und Pflege naturkundlich und landschaftlich wertvoller Eichenwälder im Gebiet Domleschg-Heinzenberg
2. Waldentwicklungsplan 2018+, Mittelbünden/Moesano, Amt für Wald und Naturgefahren, Chur, 2018
3. Richtlinie zur Eichenförderung im Naturschutz; Amt für Wald und Naturgefahren, Chur, 2008
4. Bonfils, P.; Rigling, A.; Brändli, U.; Brang, P.; Forster, B.; Engesser, R.; Gugerli, F.; Junod, P.; Müller, R.; Günthardt-Goerg, M., 2015: Die Eiche im Klimawandel. Zukunftschancen einer Baumart. Merkblatt für die Praxis, 55. Birmensdorf, Eidg. Forschungsanstalt WSL. 12 p.
5. Betriebsplan Ausserdomleschg