Der Zunderschwamm – «Förster» des Buchenwaldes
Der Zunderschwamm gehört mit seiner stattlichen Grösse sicherlich zu den bekanntesten holzbewohnenden Pilzarten. Als «Förster» des Buchenwaldes wie auch als «Feuerzeug» der Steinzeit prägt er Wälder und Menschen in Europa seit Jahrhunderten mit. In diesem Artikel werden der Pilz selbst sowie seine Verbindungen mit den Bäumen, uns Menschen und anderen Lebewesen ausführlich vorgestellt.
Autor: Stefan Blaser
1. Der Zunderschwamm in der Natur – Herrscher des Buchenwaldes
Lassen Sie uns gedanklich in einem kühlen, feuchten Buchenurwald Mitteleuropas längst vergangener Zeiten lustwandeln. Nebst Buchen jeglichen Alters fallen an vielen lebenden sowie stehenden und liegenden toten Bäumen zahlreiche grosse Konsolen eines grauen, harten Pilzes auf. Gelegentlich krachen grosse, dicke Äste ohne Vorwarnung herunter – sein Werk. Der Zunderschwamm dominiert und bewirtschaftet diesen Wald. Er haust im Inneren alter Bäume und bringt diese schliesslich zum Absterben. In den entstandenen Lichtungen drängen Jungbuchen nach langem Schattendasein dem Licht entgegen. Das allgegenwärtige tote Holz wird von ungestümem Leben vereinnahmt. Myriaden von Pilz-, Käfer-, Ameisen-, Schnecken-, Flechten-, Moos- und Milbenarten besiedeln die toten Stämme und profitieren von der darin über viele Jahrzehnte gespeicherten Sonnenenergie.
Als sich der Mensch immer stärker ausbreitete, Wälder rodete und Bäume zur Holzgewinnung nutzte, wurde der Zunderschwamm seiner Arbeit zunehmend beraubt. Die Buchen wurden im besten Alter geerntet, lange bevor der Zunderschwamm übernehmen konnte. Ebenso waren seine Fruchtkörper zeitweise sehr begehrt und wurden häufig gesammelt und genutzt (siehe Kapitel 3). Die Folgen davon sind auch in der Schweiz sichtbar. Daten von SwissFungi zeigen, dass zum Zunderschwamm lange Zeit nur wenige Funde pro Jahr gemeldet wurden und erst seit etwa 2015 ein deutlicher Anstieg erfolgte
(Abb. 1).
Fundmeldungen anderer Porlinge, wie etwa der Schmetterlingstramete oder des Rotrandigen Baumschwamms, sind im Gegensatz dazu nach der Einrichtung und dem Bekanntwerden des Datenzentrums SwissFungi um die Jahrtausendwende sprunghaft angestiegen (Abb. 1). Der für lange Zeit stark zurückgedrängte Zunderschwamm scheint sein ursprüngliches Revier also allmählich wieder zurückzuerobern. Ob dies mit dem zunehmenden Bewusstsein für den Wert des Totholzes und der naturnahen Waldbewirtschaftung zu tun hat? Auch Naturwaldreservate mit Prozessschutz sowie Alt- und Totholzinseln, in denen Bäume wieder eines natürlichen Todes sterben dürfen, könnte dabei eine entscheidende Rolle zukommen.
2. Morphologie und Biologie des Zunderschwammes
Der Zunderschwamm, mit wissenschaftlichem Namen Fomes fomentarius, kommt auf der ganzen Nordhalbkugel der Erde von der Mittelmeerklimazone bis in den hohen Norden vor. Er bildet mehrjährige, äusserst harte Fruchtkörper aus
(Abb. 3).
Diese werden oft bereits hoch oben in lebenden Bäumen an starken Ästen oder am Stamm gebildet, wachsen aber an liegendem Totholz noch lange weiter. Die seitlich breit am Holz ansitzenden bis zu 30 cm grossen, hufförmigen Konsolen sind auf der Oberseite jung, oft rötlichbraun, bald aber grau bis fast weiss gefärbt. In der grauen, glatten und harten Kruste
(Abb. 2)
versteckt sich der rote Farbstoff Fomentariol, welcher mit Laugen herausgelöst werden kann. Im Querschnitt zeigt der Pilz geschichtete Porenlagen und darüber eine gleichmässige, samtige, rehbraune Tramaschicht (Abb. 2).
Am Anwachspunkt lässt sich zudem ein braunweisslich marmoriertes Gewebe ausmachen, welches als Mycelialkern bezeichnet wird (Abb. 2). Dieses auffällig unterschiedliche Gewebe wird in Form einer kleinen Knolle ausgebildet, wenn der Fruchtkörper zu wachsen beginnt. An dieser Knolle bildet sich dann das übrige Fruchtkörpergewebe aus. Auf der graubraunen Unterseite befinden sich winzige Poren mit etwa 0.2 bis 0.3 mm Durchmesser. Auf der gesamten inneren Oberfläche dieser durch die Poren gebildeten Hohlzylinder werden Sporen produziert. Bis zu 887 Millionen davon werden pro Stunde freigesetzt (Buchwald 1938) und fallen dann aus den Poren heraus in den freien Luftraum. Diese nur 0.02 mm langen, spezialisierten Pilzzellen werden vom geringsten Wind erfasst und oft weit getragen. Sofern sie an einer geeigneten Stelle landen, besiedeln sie wieder neue Wirtsbäume. Bevorzugte Wirte des Zunderschwamms sind die Buche in Mitteleuropa sowie die Birke in Nordeuropa. Anderswo können andere Laubbäume als Wirte dominieren.
Über Verletzungen (z. B. gebrochene oder abgesägte Starkäste) dringen Sporen in das Kernholz lebender Wirtsbäume ein und beginnen dort ihr Wachstum. Das Kernholz enthält keine lebenden Zellen und kann damit ohne aktive Gegenwehr des Baumes nach und nach vom Pilz besiedelt und zersetzt werden. Als sogenannter Simultanfäuleerreger kann der Zunderschwamm beide Hauptbestandteile des Holzes, namentlich die Zellulose und das Lignin, gleichzeitig abbauen. Das Holz verfärbt sich dadurch weiss und verliert seine Zähigkeit. Es wird spröde und lässt sich bei fortgeschrittener Zersetzung sehr leicht brechen. Hat sich der Pilz erst mal am Kernholz gestärkt, versucht er auch lokal in das lebende, saftführende Splintholz vorzudringen. Dort allerdings muss er mit aktiver Gegenwehr rechnen und es kommt buchstäblich zum Kampf. Ist der Wirtsbaum gesund und kräftig, kann er den Angreifer lange in Schach halten und zudem durch äusseres Dickenwachstum die inneren Schäden kompensieren. Letztendlich aber wird der Kampf zugunsten des Pilzes entschieden und es kommt zum Absterben oder, durch die stark reduzierte Holzzähigkeit, zum Bruch des Baumes. Fällt der Baum, ist der Zunderschwamm-Fruchtkörper bestens darauf vorbereitet. Rasch erkennt er seine neue Lage am Baum und verändert sein Wachstum so, dass die Poren wieder nach unten orientiert sind (Abb. 3). Dieses Verhalten, in der Fachsprache Gravitropismus genannt, ist in der Natur sehr weit verbreitet. Unbekannt ist allerdings, wo genau der Zunderschwamm die dafür notwendigen Sensoren hat und wie diese funktionieren.
3. Mensch und Zunderschwamm
Das berühmteste Beispiel für eine sehr weit in die Menschheitsgeschichte zurückreichende Nutzung des Zunderschwammes liefert wohl die etwa 5000 Jahre alte Gletschermumie «Ötzi». Der Steinzeitmann trug zu Lebzeiten Stücke des Birkenporlings und Zunderschwamms mit sich. Weitere archäologische Fundstätten aus der Steinzeit bestätigen, dass Zunderschwämme bereits seit über 11 000 Jahren genutzt werden (Peinter et al. 1998). Der Name des Pilzes verrät sogleich den wichtigsten Verwendungszweck aus dieser Zeit. Klopft man die oben erwähnte Trama weich, erhält man einen lockerfilzigen Zunder, welcher durch kleinste Funken, erzeugt etwa mit einem Feuerstein, leicht zum Glimmen gebracht werden kann. Zudem lässt sich in ausgehöhlten Fruchtkörpern die Glut längere Zeit erhalten und damit weit transportieren. Wahrscheinlich wurde der Pilz zudem schon sehr früh für medizinische und spirituelle Zwecke genutzt.
Betrachten wir die jüngere Menschheitsgeschichte, wurden für drei Anwendungen besonders viele Fruchtkörper geerntet. Diese haben daher auch dazu beigetragen, den Zunderschwamm zeitweise stark zu dezimieren. Das weichgeklopfte Gewebe wurde als saugfähige Tamponade in der Zahnmedizin und Gynäkologie eingesetzt und dünne Scheiben der Fruchtkörper wurden als Wundauflagen verwendet. Bei diesen beiden Anwendungen profitierte man von den durch den Pilz gebildeten antibiotischen und blutstillenden Substanzen. Ausserdem wurde die Trama zu einem lederartigen, robusten Material verarbeitet, aus welchem sich Hüte, Handschuhe, Brieftaschen und Ähnliches herstellen liessen. Dieses recht aufwendige Handwerk wird, etwa in Rumänien, bis zur heutigen Zeit in kleinem Umfang betrieben. Die Erzeugnisse dienen in erster Linie als Souvenirs für Touristen. Zwar sind natürliche Lederersatzmaterialien sehr gefragt, allerdings erreicht die mögliche Erntemenge beim Zunderschwamm keinesfalls grossindustrielle Massstäbe. Hingegen wird daran geforscht, mit Hilfe des Zunderschwammes nachhaltige, biologisch abbaubare Verbundstoffe aus Sägespänen, Hanf- oder Rapsstroh herzustellen (Pohl et al. 2022).
In unterschiedlichen Kulturkreisen wurde der Pilz für weitere, recht unterschiedliche medizinische Zwecke benutzt, so zum Beispiel bei Blasenleiden, Lungenerkrankungen und verschiedenen Krebserkrankungen. Als Vitalpilze bezeichnet, werden der Zunderschwamm und verschiedene andere Pilzarten seit einiger Zeit mit diversen Heilversprechen intensiv vermarktet. So soll der Zunderschwamm etwa das Immunsystem stärken. Die vielversprechenden Anwendungen rücken diese Pilze verstärkt in den Fokus der Wissenschaft. Beim Zunderschwamm konnte etwa gezeigt werden, dass ein Pilzextrakt Brustkrebszellen zum Absterben bringen kann oder gegen Entzündungen wirksam ist (Gáper et al. 2016). Der oben angesprochene Farbstoff Fomentariol in der Kruste wird wegen seiner antidiabetischen Eigenschaften genauer untersucht (Djajic´ et al. 2018). Leider gibt es generell erst wenige wissenschaftliche Studien, und insbesondere kaum klinische Studien beim Menschen. Es bedarf noch grosser Anstrengungen sowie des Interesses bedeutender Pharmaunternehmen, um das medizinische Potenzial dieser Arten vollumfänglich untersuchen zu können (Gründemann et al. 2020).
4. Biologische Interaktionen
Der Zunderschwamm bereitet das Holz mit seiner zersetzenden Aktivität für viele Insekten, aber auch für andere Pilze vor. So wächst der kleine Porling mit dem wissenschaftlichen Namen Antrodiella pallescens
(Abb. 4)
ausschliesslich auf Holz, welches vom Zunderschwamm abgebaut wird. Ob es sich hierbei allenfalls auch um eine parasitische Beziehung handelt, ist noch unerforscht. Trichoderma fomiticola ist eine Pilzart, die, wie der Name andeutet, ausschliesslich auf den Poren alter Fruchtkörper des Zunderschwammes zu finden ist.
Für viele Insekten ist auch der Zunderschwamm-Fruchtkörper Brutstätte und Nahrungsquelle in einem. So konnten in einer norwegischen Studie 35 verschiedene Käferarten in Fruchtkörpern des Zunderschwammes gefunden werden (Rukke 2002). Zu den am häufigsten nachgewiesenen Arten gehörte der Kerbhalsige Zunderschwamm-Schwarzkäfer (Bolitophagus reticulatus)
(Abb. 5).
In einer Dreijahresstudie in Kanada wurden 152 Arthropodenarten (Spinnentiere, Krebstiere, Tausendfüssler und Insekten) auf oder in Zunderschwamm-Fruchtkörpern gefunden (Matthewman and Pielou 1971). Darunter sind etliche Arten, die sich von den Fruchtkörpern ernähren oder darin Schutz finden, sowie zahlreiche Parasiten und Fressfeinde dieser Arten. Dies veranschaulicht eindrücklich die Vielfalt und Komplexität der Natur und zeigt die zahlreichen Verflechtungen auf, die viele Organismen auf Gedeih und Verderb miteinander verbinden. Naturnahe, totholzreiche Wälder erhalten nicht nur diese Netzwerke des Lebens, sondern sichern uns auch das biologische Material, aus welchem vielleicht in Zukunft wichtige Medikamente oder Materialien gewonnen werden können.
Stefan Blaser arbeitet in der Forschungsgruppe Biodiversität bei der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).
Literatur
Buchwald N. F. 1938: On the size of the spore production of the tinder fungus, Polyporus fomentarius (L.) Fr. Friesia 2 (1): 42 – 69.
Djajic´ N., Golubovic´ J., Ravnikar M., Žigon D, Štrukelj B., Otaševic´ B. 2018. Isolation and Determination of Fomentariol: Novel Potential Antidiabetic Drug from Fungal Material. Journal of Analytical Methods in Chemistry, 2018:1 – 9.
Gáper J., Gaperova S., Pristas P., Náplavová K. 2016. Medicinal Value and Taxonomy of the Tinder Polypore, Fomes fomentarius (Agaricomycetes): A Review. International Journal of Medicinal Mushrooms 18(10):851 – 859.
Gründemann C.; Reinhardt J.K.; Lindequist U. 2020. European Medicinal Mushrooms: Do They Have Potential for Modern Medicine? – An Update. Phytomedicine 66: 153131
Matthewman W.G., Pielou D.P. 1971. Arthropods inhabiting the sporophores of Fomes fomentarius (Polyporaceae) in Gatineau Park, Québec. The Canadian Entomologist 103 (6): 775 – 847.
Peintner U., Pöder R., Pümpel T. (1998) The Iceman’s fungi. Mycol Res 102:1153 – 1162
Pohl C., Schmidt B., Nunez Guitar T., Klemm S., Gusovius H.J., Platzk S., Kruggel-Emden H., Klunker A., Völlmecke C., Fleck C., Meyer V. 2022. Establishment of the basidiomycete Fomes fomentarius for the production of composite materials. Fungal Biol Biotechnol 9: 4.
Rukke B.A. 2002. Fungivorous beetles in basidiocarps of Fomes fomentarius respond differently to microhabitat variables. Eur. J. Entomol. 99: 43 – 52.