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Pflanzen- und Schmetterlingsarten in den Selven von Soazza

Oberhalb von Soazza bei Mont Grand dehnen sich grosse Kastanienselven aus. Seit den 50er-Jahren wurden diese lange Zeit nicht mehr bewirtschaftet und wandelten sich in dichte Wälder mit wenig Pflanzenbewuchs in der Krautschicht um. Die gepflegten Selven beherbergen dank den halb offenen Lebensräumen und dem Vorhandensein von Monumentalkastanien diverse seltenste Tier- und Pflanzenarten. Deshalb wurden seit 1997 im Misox, dank Forstprojekten, 72 ha Kastanienselven wiederhergestellt, darunter 14 ha in Mont Grand. Sehr aufwendig aber essentiell ist die langfristige Pflege der Kastanienselven. Heute gelten die Selven auch als landwirtschaftliche Nutzflächen und die Landwirte erhalten für diese Flächen, dank einem Vernetzungs- und einem Landschaftsqualitätsprojekt, Direktzahlungen für die Biodiversität und die Lanschaftsqualität. Rechtlich sind diese Flächen aber weiterhin Waldflächen und dem Waldgesetz unterstellt. Autoren: F. Andres, M. Wastavino

Für die Öffentlichkeit und Pflege der Kastanienselven in Soazza es wurde eine Stiftung gegründet (www.fondazionemontgrand.ch). Sie hilft u.a. die Landwirten bei der Pflege der Selven dank Arbeitseinsätzen von Freiwilligen, Schulklassen und Zivildienstleistenden.

Eine schwierige Herausforderung nach den Auflichtungen in Selven ist die korrekte Begrünung. Die steilen Flächen benötigen einen raschen Erosionsschutz. In der ersten Auflichtungsphase der 90er-Jahre wurden noch einfache handelsübliche Rasenmischungen angesät. Ab 2007 wurden Heugrassaaten mit Schnittgut aus den umliegenden Wiesen zusammen mit einigen erosionsstabilisierenden Gräsern und Kräutern (Fagopyrum esculentum, Secale cereale, Lolium multiflorum var. Westerwoldicum und Agrostis capillaris) verwendet. Um die Ausbreitung von Adlerfarn und Ginster zu stoppen, wurden diese Selven nach den Auflichtungsarbeiten jährlich gemäht. Problematische Flächen mit Brombeerbeständen und Adlerfarn wurden häufiger, nämlich zwei- bis dreimal gemäht. Der Adlerfarn wurde zudem auch von Hand im Frühjahr ausgerissen. Es ist deshalb wichtig zu untersuchen, wie sich die Biodiversität in den Selven durch die Auflichtungen, Ansaaten und Mahd verändert.

 

Vegetations- und Faunauntersuchungen im Jahre 2020

Im Jahre 2020 wurde im Gebiet der Selven von Soazza die Vegetationsdecke nach der Methode Braun-Blanquet auf 7 Flächen erhoben. Die Untersuchungen wurden auf folgenden Flächen ausgeführt: Lombrei (aufgelichtete Kasta­nienselve 2018–2019), Nosal und Rolet (aufgelichtet in den Jahren 2007–2008). Eine Vegetationsaufnahme wurde auf einer Referenzfläche bei Selva ausgeführt. Es handelt sich dabei um einen nahe bei Nosal liegenden Trockenstandort, der in den letzten Jahrzehnten regelmässig bewirtschaftet und nicht gedüngt wurde. Damit gilt die Fläche als Referenz für das Optimum an Pflanzen- und Schmetterlingsarten, die in diesem Gebiet möglich sind.

Die Schmetterlinge und Heuschrecken wurden im gleichen Perimeter flächendeckend erhoben.

Neben der Überwachung der biologischen Vielfalt hatte diese Untersuchungen folgende Zielsetzung: Die Grundlagen für eine Überprüfung der Wirksamkeit der im Laufe der Jahre durchgeführten Auflichtungsmassnahmen zu schaffen, die Ergebnisse der verschiedenen Sektoren je nach Zeitpunkt der Wiederherstellungen der offenen Kastanienselven und der vorgefundenen Vegetation zu vergleichen, die Datengrundlagen für das Gebiet der Kastanienselven von Soazza zu verbessern, Bewirtschaftungs- und Schutzmassnahmen in Bezug auf die vorgefundene Arten zu erarbeiten.

Die Untersuchungen wurden im Auftrag des Amtes für Natur und Umwelt, im Rahmen des Interregprojektes Italien-Schweiz inTERRACED, durchgeführt.

 

Resultate der Vegetationsaufnahmen

Die Struktur der Kastanienselven in Soazza ist durch einzelne breite Terrassen, die einst als Äcker genutzt wurden und steilen Böschungen geprägt. Infolgedessen entwickelt sich hier eine abwechslungsreiche Flora vor, die sich zwischen Halbtrockenrasen (Mesobromion) und artenreichen Fromental-Wiesen (Arrhenaterion) bewegt. Charakteristisch sind Arten der Trockenstandorte wie die Kartäusernelke Dian­thus carthusianorum, die Tauben-Skabiose Scabiosa columbaria, das Gewöhnliche Sonnenröschen Helianthemum nummularium s.l., der  Arznei-Thymian Thymus pulegioides und der Schafschwingel Fes­tuca ovina agg., Unter den Rote-­Liste-Arten oder geschützten Arten kommen die Berg-Sandrapunzel (Jasione montana (NT)), die Gemeine Pechnelke ­Silene viscaria (NT) und die Ast­lose Graslilie Anthericum liliago (kantonal geschützt) vor. Auf den aufgelichteten Flächen gehen die Arten, die an Wälder und Waldränder gebunden sind, mit den Jahren ­zurück.

Der Anteil an Neophyten sowie invasiven Arten wie Adlerfarn und Besenginster ist auf den untersuchten Flächen in Soazza dank Mahd und Ausreissen von Hand der Adlerfarne verschwindend klein. 

Bei Lombrei, wo die Auflichtungen im Jahre 2019 erfolgten, ist die Vegetationsdecke lückig und ermöglichen das Vorkommen unerwünschter Arten (z. B. die Grüne Borstenhirse Setaria viridis, ein einjähriges Gras) oder Neophyten (insbesondere das Einjährige Berufskraut Erigeron annuus). Regelmässig sind noch die Arten des dichten Kastanienwaldes vorhanden wie die Klebrige Salbei Salvia glutinosa, die Schneeweisse Hainsimse Luzula nivea, das Kleine Springkraut Impatiens parviflora, und die Finger-Segge Carex digitata vorhanden, welche auf den seit Langem gemähten Flächen fehlen. Hier ist es wichtig, die erwünschte Entwicklung der Vegetationsdecke durch regelmässige Mahd sicherzustellen. Zudem müssen Neophyten regelmässig ausgerissen werden.

Die Aufnahmen von Nosal und Rolet zeigen, dass sich bei Mahdbewirtschaftung im Laufe von 13 Jahren eine wertvolle, artenreiche Vegetationsdecke entwickelt, die charakteristisch für Kastanienselven ist. Dank der Heugrassaaten kommen lokale Arten hinein, die mit den Jahren die Entwicklung eines stabilen Bestandes mit Arten der Trockenwiesen ermöglicht. Einige Arten der Trockenrasen ent­wickeln sich nach den Heugrassaaten sofort wie z. B. Nickendes Leimkraut Silene nutans, Feld-Thymian Thymus sp., Kleiner Wiesenknopf Sanguisorba minor und auch die Tauben-Skabiose Scabiosa columbaria. Andere wandern im Laufe der Jahre aus der Umgebung ein wie die Berg-Sandrapunzel Jasione montana, das Gewöhnliche Sonnenröschen Helianthemum nummularium s.l. und die Astlose Graslilie Anthericum liliago. Im Falle von Nosal war es sicher ein grosser Vorteil, dass in kurzer Distanz bei Selva ein ursprünglicher 1 ha grosser Trockenstandort vorhanden ist, der ein intaktes Artenspektrum an Tier- und Pflanzenarten aufweist und somit die Wiederbesiedlung aus nächster Nähe erfolgen konnte.

 

Monitoring Schmetterlinge und Heuschrecken

Bei den drei im Sommer durchgeführten Erhebungen wurden insgesamt 40 Schmetterlingsarten beobachtet, von denen 14 in der Roten Liste mit einem Gefährdungsgrad (NT, VU) aufgeführt sind. Bei den Heuschreckenaufnahmen wurden 13 Arten erfasst, von denen 6 auf der Roten Liste mit einem Gefährdungsgrad (NT, VU) stehen. Vergleicht man die Daten mit denen der CSCF-Datenbank und bezieht die Daten des Monitorings mit ein, das auf den Trockenwiesen der Selven im Jahr 2019 durchgeführt wurde (Lokalname Selva; Objektnummer 8799, Inventar national), kann man feststellen, dass die Erhebungen zu einer vergleichbaren Gesamtzahl an Schmetterlingsarten führen (40 und 44). Wir stellen ausserdem fest, dass im Jahre 2021 11 Arten gefunden wurden, die in diesem Gebiet noch nicht beobachtet worden sind. Das Gleiche gilt für Heuschrecken (13 und 16), von denen 2021 noch 6 Neufunde verzeichnet wurden. Diese Daten zeigen, dass das Monitoring bei einem Intervall von einem Jahr zu einer interessanten Anreicherung der Datenbank führt. Da dabei die Bewirtschaftung nicht verändert wurde, haben wir damit Hinweise auf die jährlichen Schwankungen.

Die seit 14 Jahren wiederum bewirtschafteten Selven mit wertvoller Vegetation und Strukturvielfalt (Gebiete von Nosal-Rolet und Proseira) weisen erwartungsgemäss die höchste Artenzahl auf. Wir finden Schmetterlinge der Trockenrasen wie z. B. das Thymianwidderchen Zygaena purpuralis und den Schwarzfleckigen Ameisenbläuling Phengaris arion, die Thymian für ihre Raupen benötigen.

Weitere potenziell gefährdete Arten sind der Idasbläuling Plebeius idas, der Komma-Dickkopffalter Hesperia comma (die ihre Eier auf Festuca sp. oder Nardus stricta ablegt). Als gefährdet eingestuft ist der Alexisbläuling Glaucopsyche alexis, dessen Raupen sich von Saat-Luzerne Medicago sativa oder Saat-Esparsette Onobrychis viciiolia ernähren.

Charakteristisch sind auch Arten der lichten Wälder, deren Raupenfutterpflanzen Gräser sind: Braunauge Lasiommata maera, Mauerfuchs Lasiommata megera, Blauauge Minois dryas (Abb. 3)

Bisher nicht offiziell nachgewiesen ist der Gelbringfalter Lopinga achine. Er wurde in den letzten Jahren auf verschiedenen Flächen bei St. Maria wenige km von Soazza entfernt erhoben und könnte in dieser Selve durchaus einen geeigneten Lebensraum finden.

Bei den Heuschrecken sind 6 der 13 erhobenen Arten auf den Roten Listen aufgeführt. Als Beispiel erwähnen wir zwei Heuschrecken, die an Trockenwiesen gebunden sind: Arcyptera fusca (Abb. 4)

die laut Roter Liste gefährdet ist, und die potenziell gefährdete Art Stauroderus scalaris. Eine weitere

Heuschreckenart, die als gefährdet gilt, ist Sphingonotus caerulans, die trockene Lebensräume mit Strukturen wie Steinhaufen, Kieselsteinen, Geröll und Trockenmauern bevorzugt. Stenobothrus lineatus hingegen ist eine Heuschreckenart, die sowohl eine trockene Vegetation als auch das Vorhandensein von offenen und lichten Wäldern benötigt. Alle genannten Heuschreckenarten benötigen zur Eiablage Flächen mit offenem oder sandigem Boden. Diese Selven, dank deren extensiven und regelmässigen Bewirtschaftung, entsprechen der optimalen Beschreibung von lichten Wäldern und weisen ein gutes Gleichgewicht zwischen Wald und offenen Flächen auf. Die strukturelle Vielfalt des Gebietes und die wertvolle Pflanzenzusammensetzung erhöhen den ökologischen und landschaftlichen Wert zusätzlich.

Bei Lombrei, einem Gebiet, das zwei Jahre vor den Aufnahmen aufgelichtet wurde, wurden eine erstaunlich hohe Vielfalt an Schmetterlingen und Heuschrecken beobachtet, die das Gebiet neu besiedelt haben. Dies entspricht den protokollierten, aber nicht systematisch erhobenen Aufnahmen im Jahre 2008 bei Nosal. Die Schmetterlings- und Heuschreckenarten können aufgelichtete Flächen rasch besiedeln, wenn unweit davon bereits etablierte Trockenstandorte vorhanden sind. In den kommenden Jahren wird in Lombrei eine weitere Zunahme der Arten erwartet.

Die Wiederherstellung von Kastanienselven und deren extensive, aber regelmässige Mahd-Bewirtschaftung sind von wichtiger Bedeutung für die Förderung des Vorkommens von lokalen Schmetterlings- und Heuschreckenarten. Dies gilt insbesondere auch für diese Kastanienselven bei Soazza, die eine wertvolle Vegetation mit Arten der Trockenstandorte aufweisen: in der Tat sind Trockenwiesen Lebensraum für verschiedene geschützte Arten. Die Fülle an Insekten wiederum garantiert die Anwesenheit anderer Tierarten, zum Beispiel der Vögel oder Fledermäuse.

Die faunistischen und vegetationskundlichen Aufnahmen sollen als Grundlage für ein langfristiges Monitoring dienen. Dies gibt wertvolle Hinweise, ob die Pflege zielführend ist und ermöglicht eine rechtzeitige Korrektur der Pflegemassnahmen.

 

Franziska Andres ist Biologin und Inhaberin von Büro Trifolium.

 

Marta Wastavino ist Biologin und arbeitet beim Büro Trifolium.