Ausgangslage
Die Freisetzungsverordnung (FrSV; SR 814.911) schreibt den Kantonen u. a. die Organisation und Koordination der Bekämpfung invasiver gebietsfremder Pflanzen vor. Mit dem Regierungsbeschluss vom 31.5.2011 (Prot. Nr. 514) wurde das Amt für Natur und Umwelt (ANU) als Vollzugsstelle für die FrSV bestätigt.
2009 hat das ANU in Zusammenarbeit mit dem Amt für Wald und Naturgefahren und in Rücksprache mit der Fachstelle Pflanzenschutz des Plantahofs die strategischen Ziele entsprechend der revidierten FrSV überarbeitet. Diese Ziele haben heute noch ihre Gültigkeit. Im Folgenden wird erläutert, wie die kantonalen und kommunalen Stellen in Bezug auf das Neobiotamanagement organisiert sind und wie die Priorisierung der Massnahmen erfolgt.

Strukturen und Informationsaustausch
Auf kantonaler Ebene erfolgt die Koordination der Massnahmen und der Informationsfluss zwischen den Dienststellen über die Arbeitsgruppe invasive Neophyten Graubünden (AGIN GR). Die Leitung der Arbeitsgruppe liegt beim ANU. Abbildung 1 zeigt die Struktur und die beteiligten Dienststellen.
Die AGIN GR trifft sich nicht regelmässig. Es sind vielmehr die Ansprechpersonen, welche sich bei Bedarf austauschen. Jede Gemeinde verfügt über eine Ansprechperson für invasive Neophyten (KAFIN). Sie ist primäre Ansprechperson sowohl für die Gemeindeverwaltung als auch für die Bevölkerung. Bei Bedarf unterstützt das ANU die KAFIN bei ihren Tätigkeiten beispielsweise mit Unterlagen, Know-how und rechtlichen Abklärungen.

Während der Wintermonate fällt der immergrüne Kirschlorbeer im Unterholz besonders auf. Dort wo der Samendruck aus der Nachbarschaft gross ist und die Temperaturen genügend hoch sind, beginnt er seine Invasion auch im Wald. Im Bild ein Beispiel im Sonderwaldreservat des Domat/Emser Tuma Platta. (Bilder: Sascha Gregori, ANU Graubünden)
Tätigkeitsbereiche ANU
Das ANU berät bei Fragen zu invasiven Neobiota, organisiert und koordiniert Überwachungs-, Präventions- und Bekämpfungsmassnahmen, führt Weiterbildungen und Informationsveranstaltungen durch, ist die kantonale Anlaufstelle für räumliche Neobiota-Datenbanken (GIS) und führt Kontrollen bezüglich der Einhaltung der FrSV durch.
Neben den oben genannten Tätigkeitsfeldern beteiligt sich das ANU auch an nationalen Arbeitsgruppen wie z. B. dem Cercle Exotique (CE). Die Arbeitsgruppe Neophytenmanagement des CE wird durch einen Vertreter des ANU geleitet und behandelt die Priorisierung und Bekämpfung von invasiven Neophyten sowie den Umgang mit biologisch (durch Neophyten) belastetem Boden. Das Ziel des CE ist es, die Kantone und Gemeinden im Vollzug der FrSV mit Empfehlungen, Wegleitungen und Merkblättern zu unterstützen.
Kommunales Neophytenmanagement
Der Kanton Graubünden setzt sich 2025 aus 100 Gemeinden zusammen. Jede Gemeinde verfügt über eine KAFIN. Zu ihren Aufgaben gehören beispielsweise die Kontrolle von Bauparzellen auf Neophyten im Rahmen des kommunalen Baubewilligungsverfahrens, Umsetzung von Massnahmen im Rahmen eines kommunalen Neophytenmanagementkonzepts sowie Beratung und Hilfestellung bei Anfragen aus der Bevölkerung. Mittlerweile verfügen 50 % der Gemeinden über ein solches Konzept. Das ANU unterstützt die Gemeinden sowohl in der Erarbeitung der Konzepte als auch bei der Umsetzung der Massnahmen; sei es durch Beratung vor Ort oder das Bereitstellen von Vorlagen und Unterlagen (Empfehlungen, Merkblätter, Formulare).
Gemeinden, welche ein Managementkonzept erarbeitet haben, wissen, wann und wo sie ihre Ressourcen einsetzen (Massnahmenplan). Die Prioritäten werden dabei regelmässig entsprechend der aktuellen Ausbreitung der Neophyten angepasst. Ein solches Vorgehen ist sowohl für den Gemeindevorstand als auch für die Bevölkerung transparent und nachvollziehbar. Im Folgenden wird aufgezeigt, auf welche Art und Weise man die Massnahmen gegen invasive Arten priorisieren kann.
Priorisierung der Bekämpfungsmassnahmen gegen invasive Neobiota
Um alle invasiven Arten sofort und überall bekämpfen zu können, fehlen bei Weitem die personellen und finanziellen Mittel. Deshalb geht es bei der Bekämpfung darum, im Sinne der Verhältnismässigkeit Prioritäten zu setzen und entsprechende Massnahmen umzusetzen. Es ist von Vorteil, wenn man durch ein Monitoring bereits schon weiss, wo ungefähr welche Arten vorkommen. Der aktuelle Stand der Verbreitung der Neophyten kann über den QR-Code am Ende dieses Artikels eingesehen werden.
Erste spontane Vorkommen in einer Geländekammer sollen immer so rasch wie möglich eliminiert werden («Wehret den Anfängen!»). Einige invasive, gebietsfremde Arten sind jedoch in Graubünden bereits so weit verbreitet, dass eine Eliminierung in weiten Teilen unrealistisch und unverhältnismässig geworden ist. Entsprechend ist es wichtig, sowohl die Arten, als auch die Gebiete bezüglich der Massnahmen, wie beispielsweise Überwachung oder Bekämpfung, zu priorisieren.

Als Pionierart besiedelt das Drüsige Springkraut rasch Uferbereiche, Waldränder und -lichtungen. In Zonen mit geringem Störungsintervall (z. B. Hochwasser) kann die natürliche Sukzession durch gezielte Eingriffe unterstützt werden und das Springkraut verliert seine Dominanz.
Die leitende Frage bei der Priorisierung lautet: Welcher Schaden liegt vor oder kann entstehen? In Graubünden wurden hinsichtlich der Bedrohung durch Neobiota folgende prioritäre Schutzgüter definiert:
- Menschliche und tierische Gesundheit und Lebensqualität
- Biodiversität
- Investitionen und Infrastruktur (z. B. Strassen, Revitalisierungen, Schutzwald)
- Land- und forstwirtschaftliche Produktion
Für den Erhalt der Schutzgüter können unterschiedliche Stakeholder (z. B. kantonale Dienststellen) zuständig sein. Zudem muss zwischen einem Schaden und einer Bedrohung unterschieden werden.
So ist beispielsweise für den Erhalt der landwirtschaftlichen Produktivität in erster Linie die Landwirtschaft selbst verantwortlich; daher geht aus der landwirtschaftlichen Begriffsverordnung (LBV; SR 910.91) sowie aus der Direktzahlungsverordnung (DZV; SR 910.13) eine Pflicht zur Bekämpfung von Problempflanzen hervor; Neophyten müssen auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) bekämpft werden. Zudem kann die Verbreitung von einer Strasse, welche unmittelbar neben einer LN verläuft, durch einen angepassten Unterhalt bzw. eine Bekämpfung der Neophyten innerhalb dieser Strassenabschnitte verhindert werden. Eine gesetzliche Vorschrift dazu fehlt jedoch gänzlich. Solche Arbeiten werden daher von den kommunalen und kantonalen Diensten freiwillig geleistet.
Priorisierung der gebietsfremden Arten nach Schutzgütern
Die durch das ANU am höchsten priorisierten Arten und Lebensräume werden im Folgenden bezüglich der entsprechenden Schutzgüter konkretisiert. Dazu gilt es zu beachten, dass andere Dienststellen, wie beispielsweise das AWN, jede Neophytenart in ihrem Zuständigkeitsbereich anders priorisieren kann. Dies ist absolut legitim und widerspricht sich in der Praxis nicht, da die Schutzgüter ebenfalls unterschiedlich gewichtet werden und die gesetzlichen Aufträge verschieden sind.
Menschliche und tierische Gesundheit
Einige Pflanzen stellen eine unmittelbare Gefährdung für die menschliche und/oder tierische Gesundheit dar. In Graubünden werden daher die folgenden Pflanzenarten im Rahmen der Bekämpfung als prioritär betrachtet: Ambrosia (Ambrosia artemisiifolia), Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum), Schmalblättriges Greiskraut (Senecio inaequidens), Vielblättrige Lupine (Lupinus polyphyllus).
Als Beispiel für eine Bedrohung der menschlichen Gesundheit durch ein invasives gebietsfremdes Insekt sei hier die Tigermücke (Aedes albopictus) erwähnt. Sie kann über 20 verschiedene Arboviren übertragen.
Das Ziel bei diesen gesundheitsgefährdenden Arten ist eine dauerhafte Dezimierung bis hin zu einer Tilgung. Die Bestände dieser Arten tief zu halten und eine weitere Ausbreitung zu verhindern, hat oberste Priorität.
Biodiversität
In trockenen Habitaten wie beispielsweise Trockenwiesen und -weiden (TWW, Biotopinventarflächen) finden sich in Graubünden hauptsächlich das Orientalische Zackenschötchen (Bunias orientalis), das Einjährige Berufkraut (Erigeron annuus), die Robinie (Robinia pseudoacacia) sowie Amerikanische Goldrutenarten (Solidago spp.).
In den tendenziell feuchten bzw. wassernahen Lebensräumen, also auch innerhalb der vier Biotopinventartypen Amphibienlaichgebiet, Auengebiet, Hoch- und Flachmoor, finden sich hauptsächlich die Asiatischen Staudenknötericharten (Reynoutria spp.), der Sommerflieder (Buddleja davidii), die Vielblättrige Lupine (Lupinus polyphyllus), das Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera), der Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum), die Robinie (Robinia pseudoacacia) sowie im Misox der Götterbaum (Ailanthus altissima).
Die Zielsetzung in diesen Arealen ist eine regelmässige Pflege zur Reduktion der negativen Einflüsse dieser Arten auf den jeweiligen Biotoptyp und seine Ökosystemleistungen.
Investitionen und Infrastruktur
Durch invasive Neophyten verursachte Auswirkungen wie Wurzeldruck, Erosion oder Überwucherung auf Infrastrukturanlagen oder nach Revitalisierungen können den Wert beziehungsweise die Funktionalität von Investitionen senken oder höhere Unterhaltskosten verursachen.
In Graubünden erfolgen diese Schäden hauptsächlich durch Asiatische Staudenknötericharten (Reynoutria spp.), Götterbaum (Ailanthus altissima) und Sommerflieder (Buddleja davidii).
Grundsätzlich gilt es auf Bauwerken etc., die Ansiedlung dieser Arten von Beginn an zu verhindern, bis sich eine standortgerechte Vegetation etabliert hat. Regelmässige Kontrollen werden auch nach Erstellung noch empfohlen.
Japanknöterich bietet einen schlechten Erosionsschutz und verbreitet sich besonders oft entlang von Fliessgewässern. Der Erhalt von Uferböschungen benötigt deshalb zusätzlichen Aufwand.
Durch eine Störung der Sukzession (Verzögerung und Einfluss auf Arten) kann in Graubünden die Präsenz von Sommerflieder (Buddleja davidii) im Schutzwald für den Forst einen erheblichen Mehraufwand bedeuten.
Beim Götterbaum (Ailanthus altissima) gibt es Anzeichen, dass er in Alpentälern die Schutzwirkung von Wäldern gegen Naturgefahren verringern kann, weil seine Stämme mit zunehmendem Alter von innen her durch Fäulepilze geschwächt werden.
Problematisch zeigt sich der Götterbaum (Ailanthus altissima) ebenfalls in Autobahnmittelstreifen. Sein schnelles Wachstum führt dazu, dass dessen Äste kurze Zeit nach einem Pflegeeingriff wieder in die Überholspur ranken können. Solche Bestände werden durch den betrieblichen Unterhalt regelmässig zurückgeschnitten und, wo möglich, gerodet.
Land- und forstwirtschaftliche Produktion
Für den Vollzug und Massnahmen rund um die land- und forstwirtschaftliche Produktion sind in erster Linie andere Dienststellen zuständig (Amt für Landwirtschaft und Geoinformation [ALG], Plantahof und AWN). Da die meisten Organismen aber auch ausserhalb dieser Landnutzungen vorkommen, werden sie vom ANU bei der Priorisierung berücksichtigt.
Durch die Verdrängung von qualitativ besseren Futter- oder Kulturpflanzen verursachen einige Neophyten Ertragsausfälle in der Landwirtschaft. Dazu gehören in Graubünden das Orientalische Zackenschötchen (Bunias orientalis), das Einjährige Berufkraut (Erigeron annuus) und die Vielblättrige Lupine (Lupinus polyphyllus).
Mit grosser Aufmerksamkeit wird die Ausbreitung des Schmalblättrigen Greiskrauts (Senecio inaequidens) beobachtet. Dessen Potenzial in Graubünden ist in weiten Teilen der Höhenlagen bis circa 1500 m ü. M. noch in keiner Weise ausgeschöpft. Aufgrund der giftigen Inhaltsstoffe kann es in der Landwirtschaft zu grossen Schäden führen.
Die Bekämpfung auf landwirtschaftlichen Nutzflächen wird durch die landwirtschaftlichen Gesetzgebungen gefordert. Entsprechend findet eine enge Zusammenarbeit zwischen dem ALG als Vollzugsstelle dieser Gesetzgebungen, dem Plantahof mit seinem landwirtschaftlichen Beratungsdienst und der Pflanzenschutzfachstelle sowie dem ANU statt.
Auch gebietsfremde Insekten gehören zum Teil zu den hoch prioritären Arten. So wird der Japankäfer beispielsweise über die Pflanzengesundheitsverordnung (PGesV; SR 916.201) als Quarantäneorganismus eingestuft, da sein Speiseplan und sein grosser Appetit auf über 300 Wirtspflanzen zu enormen Schäden in der Land- und Forstwirtschaft führen können.
Priorisierung nach Gebieten
Neben den oben erwähnten Lebensräumen, welche aufgrund der wertvollen hohen Biodiversität oder zum Erhalt von Investitionen und Schutzfunktionen priorisiert werden, können einzelne Geländekammern und Regionen auch pauschal von Neophyten freigehalten werden. Entsprechend wird in solchen Geländekammern jede gebietsfremde Art bekämpft, da beispielsweise der Aufwand für eine Eliminierung noch verhältnismässig gering ist. Diese Strategie kann in einer Region auch nur einzelne Arten betreffen, welche ein Potenzial haben, sich weiter auszubreiten. Bei der Bekämpfung über ein gesamtes Gebiet sollte jedoch möglichst vollständig und koordiniert vorgegangen werden. Alle betroffenen Stakeholder sind in das Vorgehen einzubeziehen und müssen diese Strategie mittragen.

Es gibt Bestände des Japanischen Staudenknöterichs, die nur durch illegale Materialablagerungen (Grünabfälle oder Erdmaterial) erklärt werden können.
Fazit und Ausblick
Die Erfahrung nach 16 Jahren Neobiotamanagement zeigt: Regelmässig drängt sich eine neue Art in Graubünden ins Rampenlicht. Derzeit werden die Ankunft des Japankäfers und die ersten Meldungen der Asiatischen Hornisse erwartet. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass sich die Tigermücke im Churer Rheintal zumindest saisonal etablieren kann. Idealerweise tritt dies nicht bereits alles in diesem Jahr ein. Aber eines ist sicher: Alle drei Arten werden sich früher oder später im Churer Rheintal begegnen, was das Neobiotamanagement nicht vereinfachen wird. Im Gegenteil: Die Priorisierung und Umsetzung von Massnahmen werden um eine weitere Komplexitätsstufe erhöht.

Karte zur aktuellen Verbreitung und Erfassung von Neophytenstandorten (QR-Code).
Sascha Gregori hat 2009 den Master in Geografie abgeschlossen und kümmert sich seither beim Amt für Natur und Umwelt Graubünden (ANU) um das Neobiotamanagement.







































































