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Die Strategie Waldbiodiversität Graubünden 2035

Das Amt für Wald und Naturgefahren (AWN) hat eine neue Strategie «Waldbiodiversität Graubünden 2035» erarbeitet. Diese basiert auf dem Waldentwicklungsplan (WEP2018+), welcher als wichtiges Instrument für die Waldbesitzer und den Kanton fungiert. In der Strategie wurden regionale Zielsetzungen für die kommenden 15 Jahre erarbeitet, um die Biodiversität in den Bündner Wäldern entsprechend ihrem Potenzial zu erhalten und wo möglich aufzuwerten. Autor: Dr. Marco Vanoni

Der Wald bedeckt einen Drittel der Bündner Kantonsfläche und bietet Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten. Rund 40 Prozent aller Arten in der Schweiz leben im oder vom Wald, beispielsweise die Hälfte aller knapp 200 Brutvogelarten oder gar sämtliche 30 heimischen Fledermausarten. Um die Biodiversität im Wald mit konkreten Zielsetzungen in einem Zeithorizont von rund 15 Jahren zu erhalten und zu fördern, wurde durch das AWN mit externer Begleitung in den Jahren 2018 bis 2020 die Strategie «Waldbiodiversität Graubünden 2035» erarbeitet. Diese Strategie löst das Konzept «Naturschutz im Wald» aus dem Jahr 2000 ab. Die bisherigen Förderprogramme im Wald für die Einrichtung von Waldreservaten sowie die Erhaltung und Aufwertung von Lebensräumen und Arten werden weitergeführt und punktuell ausgebaut. Damit sollen die Biodiversität im Allgemeinen sowie die Qualität des Lebensraums Wald für ausgewählte Arten erhalten und wo nötig aufgewertet werden.

 

Waldentwicklungsplan als Grundlage

Für die Erhaltung und Förderung der Waldbiodiversität wurden im WEP2018+ im Objektblatt Natur und Landschaft diejenigen Flächen bestimmt, auf denen in den kommenden 15 Jahren eine Förderung grundsätzlich sinnvoll ist und Beiträge von Bund und Kanton zielgerichtet eingesetzt werden sollen. Mit der Strategie «Waldbiodiversität Graubünden 2035» wurden nun ausgehend von dem im WEP2018+ identifizierten Potenzial regionale Zielsetzungen erarbeitet. Diese Zielsetzungen berücksichtigen unterschiedliche Kriterien, wie die Qualität der Lebensräume oder die Dringlichkeit von Massnahmen. So werden Waldreservate nur dort eingerichtet, wo das Potenzial im Waldentwicklungsplan bereits erfasst ist. Fördermassnahmen erfolgen ausschliesslich auf den bezeichneten Flächen, auf welchen die Dringlichkeit für Massnahmen hoch und das Potenzial für den Erhalt oder eine Aufwertung der Qualität gross ist.

 

Die neuen Förderkategorien

Die Beschreibung des Istzustands und die Festlegung von Zielsetzungen erfolgte anhand einer Einteilung in 13 Förderkategorien, klassiert in drei Hauptkategorien. Diese wurden angelehnt an die Kategorien aus dem WEP2018+ sowie die Unterteilung im Programm Waldbiodiversität der Projektvorschriften für Sammelprojekte Waldbau des AWN. In einer ersten Hauptkategorie sind die langfristig vertraglich gesicherten Objekte enthalten. Bei der bestehenden Förderkategorie Sonderwaldreservate steht das Hauptaugenmerk bei der Aufwertung des Lebensraums für wichtige Arten im Vordergrund. Bei Naturwaldreservaten und Altholzinseln soll die natürliche Dynamik des Waldes ermöglicht und geschützt werden (Abb. 1)

Neu wird in Graubünden auch die Förderkategorie Habitatbäume geschaffen, die auch Biotopbäume genannt werden. Damit werden einzelne Bäume unter Schutz gestellt, die wertvolle Habitatstrukturen aufweisen und dadurch viele besondere Lebensräume auf sich vereinen. Davon profitieren vor allem seltene, verborgene Insektenarten. Alle diese Förderkategorien werden zwischen dem Kanton Graubünden und dem Waldeigentümer vertraglich geregelt.

Die zweite Hauptkategorie beinhaltet alle waldbaulichen Massnahmen, die einmalig oder in unterschiedlichen zeitlichen Abständen wiederholt umgesetzt werden. Rein flächenmässig dominieren bei den bis ins Jahr 2035 angestrebten Zielsetzungen die Aufwertungsmassnahmen für Auerhuhnlebensräume (Abb. 2 ),

gefolgt von Weidewäldern und ­der ­Kategorie Waldränder (inkl. verzahnte Wald-Offenland-Lebensräume). Danach folgt die Kategorie «Lebensraum andere», welche etwa Lichte Wälder sowie spezielle Laubholzbestände und Auen beinhaltet. Von diesen Massnahmen profitieren sowohl Flora wie Fauna, da der Wald aktiv aufgelichtet wird und mehr Wärme und Licht den Waldboden erreicht. Mit der Kategorie «Besondere Gehölze», welche sich hauptsächlich um die wertvollsten ­Eichen-, Arven- und Weisstannenbestände dreht, aber auch kleinere Vorkommen von weiteren Arten wie etwa der Eibe enthält, werden die Massnahmen spezifisch auf die Ansprüche der Baumarten ausgerichtet. An zweitletzter Stelle steht rein flächenmässig die Kategorie der Selven, welche insbesondere auf der Alpensüdseite Massnahmen wie Auflichtungen, Pflege oder Baumschnitte zur Aufwertung und Wiederherstellung von Kastanien­selven beinhaltet, sowie abschliessend als eigene Kategorie die Mittel- oder Niederwaldbewirtschaftung, welche aber in Graubünden auch aus historischer Sicht kaum je eine grössere Bedeutung hatte.

Die dritte Hauptkategorie für die Erhaltung und Förderung der Waldbiodiversität beinhaltet schliesslich keine individuellen Zielsetzungen, sondern beschreibt als integrativen Naturschutz das Prinzip des naturnahen Waldbaus für die gesamte übrige Waldfläche und listet die Schnittstellen zu anderen raumwirksamen Akteuren auf.

 

Fördergelder zur Aufwertung von Lebens­räumen und Waldreservaten

Der Bund unterstützt die Erhaltung und Förderung der Biodiversität im Wald und hat diesbezüglich mit den Kantonen Massnahmen vereinbart. In der Programmvereinbarung «Wald» für die Jahre 2020 bis 2024 wurde dem Kanton Graubünden ein Bundesbeitrag im Umfang von rund 12,7 Millionen Franken für die Waldbiodiversität zugesprochen. Dieser Betrag wird mit Kantonsbeiträgen ergänzt und für die Umsetzung von Massnahmen wie der Aufwertung von Lebensräumen oder der Einrichtung von Waldreservaten an die Waldeigentümer ausbezahlt. Die Waldeigentümer haben dabei von Gesetzes wegen einen Beitrag von mindestens 30 Prozent der anrechenbaren Kosten selber zu tragen.

 

Erweitertes und neues Faktenblatt zum Thema

Überarbeitet und mit neuen Inhalten ergänzt wurde das bereits im Jahr 2010 erstmals erschienene Faktenblatt 15 «Biodiversität im Wald» des AWN. Neben kleineren Anpassungen wird die neue Strategie mit den angestrebten Zielsetzungen im Detail vorgestellt. Die neu gegliederten Förderkategorien werden mit einigen Beispielen aus den Regionen und mit zahlreichen Abbildungen individuell beschrieben.

Das neue Faktenblatt 21 «Verborgener Mikrokosmos – Die Vielfalt und Bedeutung der Totholzkäfer» ist im August 2021 erschienen. In kompakter Form werden Informationen über die wichtige Rolle der Totholzkäfer im Ökosystem Wald vermittelt. Ergänzt werden die Informationen mit spannenden Resultaten aus diversen Untersuchungen mit vielen Käferfunden in den Bündner Wäldern der letzten Jahre und Jahrzehnte.

 

Die kommende Biodiversitätsstrategie des Kantons Graubünden

Für den Erhalt der Biodiversität sowie der Natur- und Kulturlandschaft auf der ganzen Kantons­fläche hat die Regierung des Kantons Graubünden im aktuellen Regierungsprogramm 2021–2024 einen Entwicklungsschwerpunkt auf die Erarbeitung und Umsetzung einer Biodiversitätsstrategie gelegt. Beauftragt mit der Erarbeitung ist das Amt für Natur und Umwelt ANU. In einem ersten Schritt wird momentan bis Ende 2021 ein Zustandsbericht zur Biodiversität in Graubünden erarbeitet, damit in einem zweiten Schritt im Jahr 2022 die ganzheitliche Strategie entwickelt werden kann. Die Erfahrungen mit der Strategie Waldbiodiversität fliessen dabei natürlich in die neue Strategie ein, aber auch die Erkenntnisse aus den Förderprogrammen der zuständigen kantonalen Dienststellen aus den Bereichen Landwirtschaft oder Natur- und Lebensraumschutz. Damit wird ein weiterer wichtiger Schritt getan, um die gegenseitige Abstimmung zwischen den verschiedenen Akteuren zu verbessern und die sektorübergreifende Zusammenarbeit zu verstärken, damit die Biodiversität auch für die kommenden Generationen so umfassend wie möglich erhalten werden kann.

 

Dr. Marco Vanoni leitet im Amt für Wald und Naturgefahren seit 2016 den Bereich Schutzwald und Waldökologie.