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Die „etwas andere Pflege“ im Schutzwald

Stabilitätspflege, Durchforstung mit Kronenpflege oder Stabilitätsköpfen. Aus einem Problem entstand diese Pflegeart mit aussergewöhnlichem Lösungsansatz.

Laubmischwälder der südlichen Misoxer Randalpen (kolline Stufe) bestehen häufig aus ehemals eingewachsenen Landwirtschaftsflächen wie Wiesen oder Weiden, welche noch nie behandelt worden sind. Sie bestehen aus starkem Stangenholz bis mittlerem Baumholz, hallenartigem Aufbau, sind gedrängt und langschäftig, haben talwärts geneigte Kronen und zweifelhafte Wurzelverankerungen. Stehen solche unbehandelten Bestände oberhalb von Wohngebieten oder Infrastruktur, sind die Probleme vorprogrammiert.

 

 

Ausgangslage

 

Vorherrschende Naturgefahr:

Steinschlag (und Erosion) Entstehungs- und Transitgebiet

Standortstyp:

42-34A Nährstoffarmer Eichen-Kastanienwald in Entwicklung. (NaiS Form 2!)

Baumarten:

Linden 40%, Birken 10%, Kirschen 5%, Eichen 20%, Kastanien 15%, übrige Nadelhölzer 5%, übrige Laubhölzer 5% (Robinie).

 

Der Bestand ist einschichtig und hallenartig sowie labil bis instabil. Nur noch als Kollektiv besteht eine gewisse Stabilität. Stämme und Kronen stehen dicht an dicht, die Kronenköpfe sind einseitig. Das Kronenkollektiv hat begonnen, talwärts zu nicken. Wenige Hänger existieren bereits, einzelne Windwürfe sind sichtbar.

Jungwald mit gewünschten Laubbaumarten ist kaum vorhanden, kann nur schwerlich entstehen und wird von Wild gefressen, geschält oder gefegt und ist somit für die Zukunft kaum brauchbar.

 

Problemstellung

Eine klassische Durchforstung würde die Bestandesstabilität noch weiter vermindern und das ohne Aussicht auf Verbesserung. Freigestellte „Stabilitätsträger“ wären im Nachhinein bestenfalls labil.

Die Schutzwirkung wäre nicht mehr gewährleistet, die Bäume würden selbst zur Gefahr werden.

 

Das Durchforsten verursacht eine sofortige Abnahme der Stammzahl sowie der Grundfläche / Basalfläche. Bei der Naturgefahr Steinschlag ist diese wiederum negativ auf die Schutzleistung des Bestandes. Somit wäre eine klassische Durchforstung in diesem Fall negativ.

Zusammengefasst: Nach dem Eingriff wäre der Schutz gegen Naturgefahren gemindert und der Bestand instabiler.

 

Die Lichtverhältnisse für die Verjüngung würden sich aber positiv entwickeln. Diese hat aber durch die Schalenwildproblematik zurzeit keine Chance. Weiter besteht die Gefahr (haben wir), dass unerwünschte Neophyten wie Robinien, Götterbaum, Blauglockenbaum (Paulownie) und Armenisch Brombeere sowie Ginster, Adlerfarn, Waldrebe usw., die offenen Flächen besiedeln.

Um die Schutzwirkung dauerhaft zu gewährleisten, müsste man bereits vor dem Eingriff zu technischen Schutzmassnahmen greifen. Diese sind aber sehr teuer, wirken nur kleinräumig und nicht dauerhaft. Kurz: die Lage ist verzwickt!

 

Ein Lösungsansatz

Eigene Erfahrungen aus der Kastanienpflege sowie der Austausch von Erfahrungen/- Lösungsansätzen mit Tessiner Försterkollegen, die sich schon lange mit Baum-/Kronenpflege befassen, haben uns auf die Idee gebracht, einen neuen Lösungsansatz Laubholzschutzwald zu suchen.

 

Stabilitätspflege Durchforstung mit Kronenpflege oder Stabilitätsköpfen:

Laubbäume schlagen bekanntlich nach einem Stock- oder Kronenschnitt wieder aus. Einige gut, andere besser. Besonders die Kastanie. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass auch Linde, Ahorn, Kirsche, Mehlbeere, Ulme und erstaunlicherweise auch die Esche gut auf einen Kröpfungkronenschnitt reagieren.

Bei der Traubeneiche muss man darauf achten, dass genügend grüne Feinäste vorhanden bleiben, damit sie überlebt. Wird zu viel weggeschnitten, kann sie nach zwei, drei Jahren trotzdem absterben. Möglich ist auch, dass eine Pilzerkrankung vorliegt, ähnlich wie bei der Esche, welche die Bäume zum Absterben bringt. Die Sommerhitze sowie die Trockenheit der letzten Jahre spielen da sicher auch eine bedeutende Rolle.

Bei der Buche soll man nur kleine Äste wegschneiden, sonst treten Pilze (Fäulnis) auf. Aspen bis schwaches Baumholz hingegen vertragen oder besser gesagt überleben einen Kronenschnitt in der Regel nicht.

 

Allgemeine Regeln eines erfolgversprechenden Wiederausschlagen und Überwallen sind Schneiden und Köpfen wie folgt:

  • im oberen Kronenbereich
  • kurz oberhalb Gabelungen, Astknoten
  • geringe Schnittdurchmesser
  • saubere, leicht schräge Schnitte mit geringer Fläche
  • je jünger der Baum, desto besser

 

Je älter der Baum und der Schnitt dicker, je weniger Kronenanteil bleibt, desto geringer sind die Erfolgsaussichten fürs Überleben und das Überwallen der Schnittverletzungen. Deren Ausschläge (Klebeäste) können (Abbildung 1) schlechter mit dem Holzkörper verwachsen und bergen somit die Gefahr, abzubrechen. Somit bestimmen das Alter und die Dicke der Bäume den Erfolg einer Kronenpflege.

 

Der Spezialeingriff „Stabilitäts- und Sicherheitsköpfen“ versteht sich als letzte waldbauliche Möglichkeit vor einem technischen Verbau. Diese Massnahme ist Kletterprofis mit grünem Daumen vorbehalten. Das heisst, sie sollte von Baumpflegenden mit forstlichem Hintergrund durchgeführt werden sollten (siehe Artikel von Caterina Beffa). Ziel des Eingriffs ist, mittels Kronenschnitten an potenziellen Stabilitätsträgern (Z-Bäume) die Stabilität wiederherzustellen und eine möglichst hohe Grund- oder Basisfläche des Bestandes behalten zu können. Die Bäume sollen eine reale Überlebenschance oder noch besser eine nachhaltige Entwicklungschance haben. Entsprechend der Naturgefahr Steinschlag sollte eine möglichst grosse und stabile Grundfläche beibehalten werden und in verschiedenen BHD Stärkeklassen gefördert werden. Auch sollte eine vertikale Stufigkeit angestrebt werden, d.h. dass nicht alle Bäume auf derselben Höhe geköpft werden sollten. Jeder Baum braucht seine eigene optimale Behandlung.

Es kann kein Wunder vollbracht werden. Man muss mit dem vorhandenen Bestand arbeiten, und man versucht das Beste daraus zu machen.

 

Zeichnung und Arbeitsanweisung

Der Eingriffsperimeter wird markiert oder klar kommuniziert. Der Förster markiert vorgängig oder zusammen mit den Baumpflegern eine kleine Fläche, wo er seine Vorstellungen des Eingriffs (Baumarten, Behandlung, Köpfhöhen usw.) an die Kletterer vermitteln und besprechen kann. Nach Bedarf markiert der Förster weiter, die Baumpfleger beginnen mit dem Eingriff.

Besonders am Anfang der Pflegearbeiten ist eine enge Begleitung durch den Förster und ein gegenseitiger Austausch über den Eingriff fundamental. Korrekturen sind sofort (am Baum und in der Krone) zu besprechen und anzuwenden.

Sobald die Pflegespezialisten wissen, was gefordert ist, können sie mit ihrem Wissen und Erfahrung den Bestand selber „lesen und pflegen“, natürlich weiterhin durch den Förster begleitet.

 

Eingriffszeitpunkt

Der beste Zeitpunkt für einen solchen Eingriff ist der laublose Zustand im Winterhalbjahr, man hat viel mehr Übersicht im Bestand und in den Kronen. Es gibt weniger Schäden am Stamm beim Klettern und an den Zweigen. Pilzerkrankung (Sporen) verbreiten sich weniger. Falls bereits vorhanden, ist darauf zu achten, dass sie durch den Eingriff (Schnittwerkzeuge) nicht verschleppt werden.

 

Erfahrung seit 2014 mit verschiedenen Eingriffen, darunter zwei Weiserflächen.

Insgesamt ist das nun der vierte Bestand, den wir im Revier Lostallo/Soazza grossflächig mittels Kronenschnitte pflegen. In der Mesolcina sind es noch mehr.

 

Positive Entwicklung aller Eingriffe

Nach gut acht Jahren ist es noch etwas verfrüht, um eine Erfolgsaussage zu machen. Langfristig gesehen muss man auch den Klimawandel und die jetzt schon zum Teil anhaltenden langen Trocken- und Sommerhitzephasen abwarten. Der Eingriff selbst, der für einzelne Bäume zum Teil ziemlich radikal ausfallen kann, ist für die Widerstandskraft des Bestandes eine Herausforderung. Einzelne Individuen können in den ersten Jahren geschwächt und dadurch anfällig sein und somit ausfallen.

Im Grossen und Ganzen gesehen, haben bis heute alle Bestände positiv auf die Eingriffe reagiert. Das heisst, alle Bäume haben im ersten Jahr wieder ausgeschlagen und wenige bekunden Mühe. Nur bei der Traubeneiche sind bis jetzt einige Ausfälle zu verzeichnen. Sie hat wieder ausgeschlagen, aber nach zwei bis drei Jahren sind die Ausschläge in der Vegetationsphase ausgetrocknet, und der Baum ist abgestorben. Woran es genau liegt, ist noch unklar. Ist es die Trockenheit, die Hitze, der Eingriff selbst, eine eingeschleppte Pilzerkrankung oder die Summe all dessen?

 

Kosten und Anerkennung vom BAFU

Diese Art Eingriffe ist aufwendig. Es wird sehr teuer, sobald der Helikoptereinsatz notwendig wird. Sei das aus Sicherheitsgründen, wegen des Arbeitsablaufs oder wenn Kronenteile oder ganze Bäume direkt „stehend“ geflogen werden müssen. Die Kosten belaufen sich im Schnitt zwischen 10‘000 und 40‘000.- Franken pro Hektare. Die Bewilligung sowie Kostenübernahme durch Kanton und Bund müssen natürlich vorgängig abgeklärt werden. Im Oktober 2015 hat das BAFU die Weiserfläche Cabbiolo kontrolliert und beurteilt. Die Arbeit wurde abgenommen, für gerechtfertigt befunden und mit dem Prädikat „ausgezeichnet“ versehen. Die Beschreibung der Weiserfläche ist auf der Plattform SwissNaiS - Weiserflächen unter der Nr. GR38 zu finden.

 

Fazit

Diese Art Eingriffe sind nur dort vorzunehmen, wo es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Dadurch kann man technische Schutzbauten einsparen. Erst in einem oder zwei Jahrzehnten wird man eine verlässliche Erfolgsaussage machen können. Darum ist eine möglichst gute Dokumentation dieser Eingriffe unabdingbar. Diese konnten wir mit LeiNa sowie mit zwei Weiserflächen erreichen.

Bis zum heutigen Zeitpunkt dürfen Reaktion und Entwicklung der so behandelten Bestände positiv beurteilt werden darf. Das Verfahren hat sich mittlerweile zu einer etablierten Option in der Region entwickelt.

 

Thomas Tschuor ist seit über 20 Jahren Revierförster in Lostallo/Soazza. Besonders am Herzen liegen ihm der natürliche Waldbau und die Biodiversität.

 

 

Abbildung 1

 

                             

Bestand vor Eingriff Februar 2022 TS-Sassel             Bestand nach Eingriff Mai 2023 TS-Sassel

 

Köpfen mit direktem Helitransport aus Sicherheitsgründen TS-Sassel Soazza März 2022.

Herbst 2022 nach Eingriff: Die Bäume haben reagiert (Ausschläge).

 

 Mai 2023, Folgejahr nach Eingriff: Die Bäume haben reagiert (Ausschläge).

 

                                

Herbst 2022 nach Eingriff: Die Bäume             Mai 2023, Folgejahr nach Eingriff.
haben reagiert (Ausschläge).

 

              

Vorbereitung März 2022                         Helitransport März 2022                         Mai 2023