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Der Einfluss der Waldplanung auf die Waldbewirtschaftung in Graubünden in den letzten 150 Jahren

Die Waldplanung im Kanton Graubünden kann in drei Perioden unterteilt werden. In den Anfängen der geregelten Waldbewirtschaftung ab 1879 wurden die wesentlichen Merkmale eingeführt, welche die Waldplanung in den folgenden 120 Jahren prägten. Die Waldbewirtschaftung wurde wesentlich durch die Waldplanung gesteuert. In einer zweiten sehr langen Phase bis Ende 1980 wurde die Planung nur noch punktuell weiter­ entwickelt. Der Planung wurde die Aufgabe zugewiesen, die Bewirtschaftung der Wälder zu kontrollieren. In den letzten 30 Jahren hat sich die Planung stark verändert. Im Zentrum steht die nachhaltige Sicherstellung aller geforderten Waldleistungen. Heute kann man feststellen, dass die Waldplanung wieder eine wichtige aktive Steuerungsfunktion bei der Waldbewirtschaftung übernommen hat. Dr. Riet Gordon

Die Entwicklung der geregelten Waldbewirtschaftung im Kanton Graubünden ist stark von der Waldplanung geprägt worden. Bereits in der ersten Forstordnung von 1839 wurde ein erster wichtiger planerischer Entscheid getroffen, indem unterschieden wurde zwischen Schutzwäldern und übrigen Wäldern. In den Schutzwäldern waren Nutzungen nur zurückhaltend und mit einer Bewilligung erlaubt. Der Erfolg dieser Massnahme war jedoch gering, da es an Vollzugs- und Aufsichtsorganen fehlte (Meyer, 1935). Die Wälder wurden weiterhin übernutzt und durch viele Nebennutzungen beeinträchtigt.

 

Waldvermessung als Treiber der Planung

In der Forstordnung von 1858 – welche wesentlich von Forstinspektor Coaz geprägt war – wurde erstmals eine Pflicht zur Waldvermessung und zur Ausarbeitung von Wirtschaftsplänen (WP) eingeführt. Es dauerte jedoch noch bis 1879, bis die erste Anleitung für die Erarbeitung von provisorischen Wirtschaftsplänen in Kraft gesetzt wurde. Die Anleitung enthielt bereits die wesentlichen Merkmale, welche die Waldplanung in den folgenden 120 Jahren prägten.

Das Ziel der Wirtschaftsplanerarbeitung war die nachhaltige Nutzung der Wälder. Als nachhaltig wurde ein dauernder möglichst hoher Wertertrag angesehen. Die Schutzwirkung musste bei der Anzeichnung berücksichtigt werden, man ging aber davon aus, dass dies im Kielwasser der Holznutzungen erfolgen konnte.

Die wichtigsten Grundlagen der Planung waren eine Waldvermessung, die Waldeinteilung in Betriebsklassen/Abteilungen aufgrund der Ertragsfähigkeit und der Anordnung der Holzschläge, sowie die Ermittlung des Holzvorrates und des Zuwachses. Ergebnisse der Planung war der Wirtschaftsplan, in welchem ein Hiebsatz und eine Schlagplanung festgehalten wurde. In den Wirtschaftsplänen wurde aber auch festgehalten, wo die Abfuhrbedingungen verbessert und wo die schädlichen Nebennutzungen (Beweidung und Streunutzung) geregelt werden mussten. Der Wirtschaftsplan war also von Anfang an ein umfassendes Steuerungsinstrument für die Waldbewirtschaftung und ging weit über die Regelung der Holznutzungen hinaus.

Vergleicht man die Wirtschaftspläne der ersten Generation mit den heutigen, fällt auf, dass sie sehr massnahmenorientiert waren. Es gab kein Kapitel «Zielsetzung», hingegen wurden die Massnahmen sehr konkret vorgegeben. Im WP Silvaplana von 1887 wurde zum Beispiel festgehalten, wie die Verjüngung zu erfolgen hat: «Um die Verjüngung zu erleichtern und grössere Schonung der Bestände zu ermöglichen, soll in Zukunft auf die Wirtschaft der kleinsten Schläge (Schlagweise Plänterung) angewendet werden. Sie besteht darin, dass eine oder mehrere Jahresnutzungen aus einer Abteilung genommen werden und zwar so, dass diese kleinen Schläge sich nicht aneinanderreihen, sondern durch widerstandsfähige, intakt gelassene Waldstreifen getrennt bleiben. Die Form dieser Schläge kann beliebig sein, wird aber wo immer tunlich sich der quadratischen nähern, während deren Grösse sich je nach Steilheit und Exposition des Bodens richten müssen und im Durchschnitt 4–9 Aren betragen sollen. Die durchhauenen Abteilungen bekommen dadurch das Aussehen eines Schachbretts …».

     

Bild oben: Übernutzter und aufgelichteter Wald oberhalb Silvaplana mit der ersten Aufforstung von ca. 1880. Bild unten: Der gleiche Wald 150 Jahre später. (Bilder: Gemeinde Silvaplana (oben)/Hanspeter Achtnich (unten)

 

Intensive Planungstätigkeit bis 1907

Bis zum Inkrafttreten der ersten Instruktion zur Ausarbeitung von Wirtschaftsplänen 1907 waren bereits 58 % der Waldfläche eingerichtet (Burkart, 1935). In der Instruktion wurden inhaltlich hauptsächlich die Bestimmungen von 1879 konkretisiert. Für die Vorratsermittlung wurde die Vollkluppierung ab 16 cm BHD eingeführt. Für ca. 3 % der Stämme musste die Höhe bestimmt werden. Aus diesen wurde die Bonität des Standortes und damit der Lokaltarif für die Vorratsbestimmung abgeleitet. Auch das Alter der Bestände musste ermittelt werden, sei es durch Auszählen der Stöcke oder durch vorgegebene Berechnungsmethoden. Der Zuwachs wurde durch Anbohren der Stämme oder durch die Fällung von Probebäumen ermittelt. Der Aufbau des Wirtschaftsplans unterschied sich nicht gross von den provisorischen. Der Hiebsatz wurde hauptsächlich anhand der Mantelschen Formel (Vorrat / ½ der Umtriebszeit) berechnet, in Wäldern mit ausgeglichenem Altersklassenaufbau konnte auch der laufende Zuwachs dafür verwendet werden. Der Wirtschaftsplan musste nach zehn Jahren einer Zwischenrevision unterzogen werden, nach 20 Jahren einer Gesamtrevision.

Im Jahr 1934 bestanden für rund 82 % der Waldfläche im Kanton Wirtschaftspläne, rund 20 % davon bereits in der zweiten und dritten Revision. Der damalige Hiebsatz für die eingerichteten öffentlichen Wälder betrug 116 000 Tfm, was 87 % des für den Gesamtkanton geschätzten Hiebsatzes entsprach. Es hat mehr als 50 Jahre gebraucht, bis der grösste Teil der Bündner Wälder eingerichtet war. Bei der räumlichen Verteilung fällt auf, dass in den Anfangszeiten im Val Calanca fast alle Gemeinden Wirtschaftspläne besassen. Im Jahr 1934 waren aber nur noch die Hälfte davon gültige. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Waldvermessung im Val Calanca sehr früh erfolgte, später wurden diese Wirtschaftspläne lange nicht mehr revidiert.

1938 wurden die Instruktionen zur Ausarbeitung von Wirtschaftsplänen überarbeitet. Die wichtigsten Änderungen waren die Einführung der 4 cm Stufen (anstelle der 2 cm Stufen wie bisher) und die Berechnung des laufenden Zuwachses gemäss der Kontrollmethode (Zuwachs = Vorrat Ende Periode+ Nutzungen – Vorrat Anfang Periode). Der Hiebsatz wurde nicht mehr nach der Mantelschen Formel berechnet, sondern aufgrund eines Nutzungsprozents des Vorrats und des Zuwachses. Das Nutzungsprozent wurde gutachtlich durch den Kreisförster festgelegt. Die dabei zu berücksichtigenden Kriterien wurden in der Instruktion namentlich aufgezählt.

 

Planung mit Kontrollaufgabe

1950 stellte Kantonsforstinspektor Bavier fest, dass nach einem halben Jahrhundert nachhaltiger Bewirtschaftung der Wälder die Produktionsleistung der Wälder stark gesteigert und die Schutzfunktion immer besser erfüllt werden kann. In der Tabelle 1 ist die Entwicklung der wichtigsten planerischen Kennzahlen zusammengefasst.

Begründet wurde dieser Erfolg mit einer vorsichtigen Planung, der angepassten waldbaulichen Behandlung und dem systematischen Ausbau des Waldwegnetzes. Die Steigerung der (Wert-) Produktion stand noch immer im Zentrum der Bündner Waldwirtschaft. Auf «den Schutzwaldcharakter unserer Waldungen» sollte selbstverständlich Rücksicht genommen werden. Auffallend ist, dass der Planung vor allem eine Kontrollfunktion zugewiesen wurde und weniger eine Steuerungsaufgabe.

Details zum Stand und den Ergebnissen der Forsteinrichtung – wie die Waldplanung lange bezeichnet wurde – von 1881 bis 1951 können in zwei Publikationen von Burkart (1935 und 1953) nachgelesen werden.

Die nächste Revision der Instruktionen von 1958 brachte keine wesentlichen Änderungen. Die Planungs- und Inventurmethode wurde beibehalten, der Wirtschaftsplan wurde in ein Dokumentenbuch und ein Revisionsbuch aufgeteilt. Der Wirtschaftsplan konzentrierte sich auf die Analyse des Zustandes und die Entwicklung des Waldes. Die waldbaulichen Handlungsanweisungen waren kaum betriebsspezifisch. In vielen WP wurden kopierte allgemeingültige Anweisungen als Massnahmenplanung eingefügt.

Tabelle 1: Einige Kennzahlen der Waldplanung.

 

Veränderte Ansprüche an den Wald

Ende der 1960er-Jahre änderten sich die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Gebirgsforstwirtschaft. Die Erträge der Forstwirtschaft sanken, während die Kosten stiegen. Gleichzeitig wurde die Bedeutung der Schutz- und Wohlfahrtsleistungen des Gebirgswaldes vermehrt erkannt. Der Kantonsförster C. Ragaz (1968) schlug vor, die Gebirgswälder in die vier Zonen

– Schutzwald mit bedeutender Wirtschaftsfunktion

– Schutzwald mit eingeschränkter Wirtschaftsfunk­tion

– Schutzwald ohne Wirtschaftsfunktion

– Schutzwald mit gemischter Nutzung

einzuteilen. Jeder Zone sollten andere Haupt- respektive Nebenfunktionen zugeordnet und entsprechend angepasste waldbauliche Ziele festgelegt werden. Die Planung sollte in unterschiedlicher Intensität erfolgen und die Erschliessung mit abgestuften Standards geplant werden.

Mit diesen Ideen von C. Ragaz ging die von J. Coaz eingeleitete Phase der Ausrichtung der Waldwirtschaft auf einen nachhaltig maximalen Ertrag nach rund 100 Jahren langsam zu Ende. 1972 hat das Forstinspektorat Graubünden unter der Leitung von C. Ragaz an einem Konzept für eine Leitbildstudie Wald gearbeitet (Forstinspektorat Graubünden, 1972). In der Disposition war auch ein Kapitel über die funktionelle Zielsetzung der Wälder vorgesehen und eine Zonierung der Wälder nach ihrer Hauptfunktion vorgesehen. Die Idee eines forstlichen Leitbildes ist aber meines Wissens nicht weiterverfolgt worden.

Mit dem Aufkommen der Raumplanung erhielt auch die Waldplanung neue Impulse. Kurt (1976) schlug ein dreistufiges forstliches Planungssystem vor mit einem kantonalen Globalplan, einem regionalen Forstrichtplan und einem Betriebsplan. In der Cadi (Kurt, 1976/2) wurde der Versuch unternommen, die Waldfunktionen zu erfassen und zu bewerten, und Hess (1978) konkretisierte die Idee des regionalen Forstrichtplans. Der kantonale Forstdienst ging jedoch noch 1983 davon aus, dass eine nachhaltige Waldbewirtschaftung gegeben ist, solange die Nutzungen dem Hiebsatz entsprechen, und dass alle Waldfunktionen im Kielwasser der Holznutzung erfüllt werden können (Rageth, 1983). Eine Anpassung der Planung war nicht in Sicht. Ab ca. 1970 wurden Einheitstarife eingeführt, welche unverändert bis heute gelten. Neu erfolgte zudem auch eine Bestandesbeschreibung, allerdings auf freiwilliger Basis.

Waldinventur Graubünden war und ist auch Handarbeit. (Bild: Archiv AWN Graubünden)

 

Einführung der überbetrieblichen Planung

Der grosse Umschwung kam mit der neuen eidgenössischen Waldgesetzgebung von 1991. Die Planungshoheit blieb bei den Kantonen. Sie mussten aber in ihren Planungsrichtlinien alle Waldfunktionen berücksichtigen und bei Planungen von überbetrieblicher Bedeutung die Mitwirkung der Bevölkerung ermöglichen. Im kantonalen Waldgesetz von 1995 wurde festgehalten, dass die forstliche Planung aus einem überbetrieblichen Waldentwicklungsplan und einem Betriebsplan besteht. Damit war die Rechtsgrundlage für die Umsetzung der Ideen aus den 1970er-Jahren endlich vorhanden. Bis 2012 wurden – mit Ausnahme des Oberengadins und des Bergells – für den gesamten Kanton Waldentwicklungspläne erarbeitet. Seit 2018 ist die zweite Generation Waldentwicklungspläne (WEP 2018+) in Kraft.

Die Planung hat inhaltlich während 100 Jahren keine grosse Entwicklung durchgemacht. Sie hat aber dafür gesorgt, dass der geforderte nachhaltige maximale Wertertrag in dieser Zeit mehr als erfüllt wurde. Während dieser langen Periode sind aber auch Fehler passiert. Die Zuwachsdynamik der Bündner Wälder wurde stark unterschätzt. Die Reaktion auf die immer höheren Vorräte, Starkholzanteile und Zuwächse erfolgte sehr spät und leider erst dann, als die Holzpreise massiv fielen und die Kosten stiegen. Dafür haben die Planungsverantwortlichen schon früh erkannt, dass die Optimierung des Wertertrags nicht das alleinige Ziel einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung sein kann. Im Zentrum muss eine multifunktionale Nachhaltigkeit stehen, welche die geforderten Waldleistungen sicherstellen muss. Heute kann man feststellen, dass die Waldplanung wieder eine wichtige aktive Steuerungsfunktion bei der Waldbewirtschaftung übernommen hat.

 

Dr. Riet Gordon ist Forstingenieur ETH und ehemaliger Bereichsleiter Waldplanung und Forstreviere beim AWN Graubünden in Chur.

 

Literatur

Burkart W. (1935) Schweiz. Zeit. f. Forstwesen, 1935, S. 270–291.

Burkart W. (1953) Bündnerwald, 1953, S. 105–125.

Forstinspektorat Graubünden (1972), Berichte Heft Nr. 2, Leitbildstudie Wald.

Hess H. Bündnerwald, 1978, S. 174–186.

Kurt, A. (1976), Schweiz. Zeit. f. Forstwesen, 1976, S. 820–834.

Kurt, A. (1976/2) Bündnerwald, 1976, S. 152–155.

Meyer (1935), Schweiz. Zeit. f. Forstwesen 1935, S. 243–269.

Ragaz, C. (1968) Schweiz. Zeit. f. Forstwesen, 1968, S. 1–29.

Rageth, B. (1983), Beiheft zum Bündnerwald 1983, Nr. 12 S. 6–17.